Nachdem ich bei Alessandro ausgecheckt habe, laufe ich ein letztes Mal durch Surry Hills zur Central Station, steige um 11.00 Uhr in meinen Zug nach Blackheath, zwei Stunden Zugfahrt, die einfache Fahrt für 5,81 AUD! Blackheath, eine Kleinstadt in den Blue Mountains ist auf den ersten Blick ein verschlafenes Nest irgendwo auf dem Land, indem die Zeit vor 40 Jahren stehen geblieben zu sein scheint. Der geschäftige Ortskern befindet sich genau genommen nur in einem Radius von 200m um eine Kreuzung in der Nähe des Bahnhofs am Great Western Highway. Die Wohngebiete jedoch erstrecken sich noch mindestens einen Kilometer in jede Richtung hinaus in den Buschwald. Erst beim zweiten Hinschauen entpuppt sich Bleackheath auch als eine kulturell aktive und touristisch engagierte Kleinstadt. Es gibt etliche Cafés (mein Favorit das Altitude Café), einige Galerien, einen Wollladen, einen Sauerteigbäcker, ein ehemaliges Kino/Theater, in dem jetzt Antiquitäten verkauft werden, mehrere kleine Restaurants, einige wenige Pensionen, einen Supermarkt, einen Metzger, einen sehr gut sortierten Obst- und Gemüseladen und wie in jeder anderen Stadt auch, mehrere Immobilienbüros. Mein Quartier, das SportsBunkHouse liegt unweit des Ortszentrums. Es ist ein Kletterzentrum mit einem Mehrbettzimmer, in dem ich schlafe, vier Doppelzimmern, einer Lounge und gemeinschaftlichen Sanitäranlagen. Ich betrete das Haus über den gemütlichen Garten und die überdachte Veranda. Es hängt ein Zettel an der Tür mit dem Hinweis, wo sich mein Zimmer befindet und dass erst gegen 18.00 Uhr wieder jemand am Haus ist. Ich bringe mein Gepäck in das Vierbettzimmer, wo ich offensichtlich der einzige Gast bin. Danach trinke ich im Altitude Café einen Cappuccino und esse dazu einen Burger. Äußerst lecker, auch in dieser Kombination! Gestärkt laufe ich zum Infogebäude am Heritage-Center des Blue Mountain Nationalparks und an den Rand des Sandstein-Plateaus, wo ich von einem Lookout (Kleine Aussichtsplattform) einen fantastischen Blick auf das durch Bäche tief eingeschnittene Grose-Tal und die gegenüberliegende Kliffseite habe. Die Blue Mountains sind wegen der Artenvielfalt ihrer Eukalyptusbäume seit 2000 Weltnaturerbe der Unesco. Aus den Blättern des Eukalyptusbaumes verdunsten ätherische Öle, deren Nebel über dem Gebirge liegt und durch die Sonneneinstrahlung blau schimmert und so dem Gebirge seinen Namen gab. Im zentralen Bereich erreicht es eine Höhe von ca. 1000 m, das Klima ist daher deutlich kühler als im nur zwei Std. entfernten Sydney. Nach meinem nachmittäglichen Spaziergang erreiche ich das Haus erst wieder nach Sonnenuntergang. Die Temperaturen fallen draußen abends auf unter 10 Grad Celsius, auch im Haus ist es mittlerweile fröstelnd kalt. Schnell stelle ich fest, dass es im ganzen Gebäude keine Heizung gibt. Ich ziehe mir noch ein Sweatshirt, meine lange Hose und eine Jacke über und sehe, als ich in das Wohnzimmer zurückkomme, meine beiden Hosts Adam und Carolyn in ihren quietschgrünen und –roten 70er Jahre Sesseln, eng an einem mit Gas betriebenen Heizgerät sitzen. Mir fällt ein Stein vom Herzen. Dieses kleine Gerätchen verfügt sogar über einen Turbo-Boost, der an diesem kalten Mittelgebirgsabend dann doch noch für die nötige Wärme sorgt; zumindest in der Lounge. Das Highlight an der Unterkunft sind aber die Rainshower-Duschen, die sich ihren Namen redlich verdient haben: Ein Wasserstrahl, der meinen Körper nicht nur mit dem köstlich heißen Nass versorgt, sondern ganz nebenbei auch noch für eine zarte Massage meines ebenso zarten Körpers sorgt. Da es im gemeinschaftlich genutzten Sanitärbereich keine Heizung gibt, werden meine Duscheinlagen in den nächsten Tagen zu reinen Freudentaumeln mit der Tendenz die kleinen, durch den heißen Wasserdampf zu wahren Hammams mutierten Duschzellen niemals wieder verlassen zu wollen. Wahrlich ein Gewinn für die in dieser Jahreszeit doch etwas unterkühlte Herberge. Adam und Carolyn sind Kletterer aus den USA, die seit Juni mit einem Wohnwagen in Australien unterwegs waren und jetzt hier wohnen und Kletterkurse geben bzw. in jeder freien Minute selbst klettern. Sie kümmern sich um das Haus und machen die Arrangements über AirBnB, da die Besitzer zurzeit selbst in Europa auf Klettertour sind. Carolyn arbeitet noch in Katoomba in einem Café, da die Klettersaison erst noch beginnt und das Geld etwas knapp ist.
Heute stehe ich zeitig auf und frühstücke ausgiebig. Um 10 Uhr mache ich mich auf den Weg zum Einstieg eines Trecks hinunter in das Grose-Tal. Von meiner Unterkunft laufe ich durch den nahegelegenen Park über das Heritage-Center zum Klippenrand, über den Govett`s Leap Pfad an den Klippen hinunter zum gleichnamigen Wasserfall und dann an einem Bach entlang weiter bis zum Junction Rock. Der Abstieg ist rutschig und steil. Ich bin froh, dass ich meine hochgebirgstauglichen Wanderschuhe trage und dadurch relativ trittsicher bin und somit zügig vorankomme. Bis zu dem Felsen, der sich ca. drei Km weiter unten im Tal befindet, laufe ich entlang des Govett`s Leap Brooks vor allem durch den von Eukalyptusbäumen und niedrigen Sträuchern geprägten Buschwald. An dem mit einer kleinen Info-Tafel versehenen Findling gabeln sich dann zwei der großen Trecks durch das Grose-Tal. Ich laufe erst einmal den Rodriguez Pass parallel zu den Klippen und dann den Govetts- und weiter oben den Greaves Creek wieder hinauf zum Fuße der Klippen. Der trockene Buschwald wird zusehends dichter und am feuchteren Nordhang dominieren plötzlich neben den Eukalyptusbäumen vor allem Farne die Vegetation. Bei meinem Aufstieg muss ich die Bäche mehrmals überqueren. An einer der Furten finde ich auf der anderen Seite keinen Weganschluss mehr. Fünf Minuten schleiche ich wie ein indianischer Fährtenleser immer wieder den gleichen Bereich auf und ab, fünf Meter den Bach runter, fünf Meter den Bach rauf, dann endlich; zertretene Farne und weiter oben wieder so etwas wie ein Pfad, auf dem ich meinen Weg fortsetzen kann. Meistens herrscht in dem Wald totenstille. Nur hier und da ist ein Vogel zu hören, bzw. die Laute sind so fremd, dass ich nicht einmal sagen kann, ob es tatsächlich ein Vogel oder irgendein anderes Tier ist. Ich treffe auf meinem Weg nur eine Handvoll Wanderer, darunter ein Ehepaar, Mitte 40, mit zwei Kinder, wohl zwischen 10 und 12. Alle vier sind mit Tagesrucksäcken bepackt. Respekt, denke ich mir! Also aufhören zu jammern und weiter! Ich bin mittlerweile schon über fünf Stunden unterwegs. Der Anstieg auf die Klippen fällt mir nicht mehr wirklich leicht. Ein wenig Linderung erfahren meine schmerzenden Oberschenkel und Waden erst wieder als ich vom Evans Lookout oben auf der Hochfläche einen tollen Blick hinunter in das Tal genießen kann: Am Horizont schimmert die Luft bläulich und verwaschen über dem Wald im Tal, westlich und östlich begrenzt von den steilen Klippen. Der Cliff Top Track führt mich wieder zurück zum Parkplatz und nach 7 ½ Std. schließlich auch wieder zurück zu meiner Unterkunft. Nach einer heißen Dusche – und der damit einhergehenden Massage meines geschundenen Körpers- und einem reichhaltigen Abendessen falle ich schließlich um 21.00 Uhr ins Bett, mit Beinen so schwer wie ein Eisenbahnwaggon.
Mein zweiter ganzer Tag in Blackheath. Heute fahre ich mit dem Zug nach Katoomba, dem touristischsten Zentrum der Blue Mountains. Schon vor 130 Jahren kamen die Einwohner Sydneys in den heißen Monaten zur Sommerfrische hier herauf. Vom Bahnhof führt eine breite Straße hinunter zur Aussichtsplattform „Three Sisters“. Der Weg dorthin führt an vielen Hotels, Restaurants und Souvenirläden vorbei. Hier ist auch auffällig mehr Verkehr als in Blackheath: rote Explorerbusse, Kleinbusse verschiedenster lokaler Tourismusunternehmen, ein Linienbus und etliche PKWs sind auf dem Weg zu einem der touristischsten Highlights im Großraum Sydney. Obwohl es ein Montag ist, an dem die Wochenendausflügler aus Sydney fehlen, ist die Aussichtsplattform vollgepackt mit Touristen: Vor allem sind es Urlauber aus dem Reich der Mitte und europäisch aussehende, nur gelegentlich sehe ich welche aus Pakistan, Indien oder aus arabischen Ländern. Während meines gerademal zehnminütigen Aufenthalts an dem Touristenspot werden hunderte von Selfieverlängerungen ausgepackt, aufgeschraubt, positioniert und wieder weggepackt, dazu ein tausendfaches Auslösen der Handyfrontkameras. Ich bin beeindruckt und gönne auch mir heute ein Selbstportrait mit dem Hintergrund der drei Sandsteinzinnen, die schon die Aborigines vor tausenden von Jahren hier oben auf dem Plateau siedeln liesen. Auf dem Weg zu meinem heutigen Treck geht es vorbei an der ersten Zinne, über die „Honeymoonbridge“, die 900 Giant Steps hinunter an den Fuß der Sandsteinklippen. Auf die erste Leiter folgen mir noch ein paar chinesische Jugendliche in ihren Flip-Flops, doch dann reist der Tross der Selfie-Generation plötzlich ab. Viele der Stahltreppen, eigentlich sind es Stahleitern, gehen nahezu senkrecht nach unten, sind aber mit einem zweiseitigen Handlauf und teilweise auch mit einer wie in Geländewagen üblichen Überschlagskonstruktionen zusätzlich gesichert. Die gerippten Edelstahlstufen sind relativ rutschfest, einige steige ich aber trotzdem rückwärts hinunter, weil ich Bedenken habe nach vorne wegzurutschen. Unten angekommen folge ich der Ausschilderung durch den „Leura Forest“, wieder parallel zu den Klippen, bis hinüber zu den „Leura Cascades“, einem über hundert Meter langen, in unzähligen Stufen hinabfließenden Wasserfall, an dem entlang ich bis in die Ortschaft Leura hinaufsteige. Insgesamt dauert die Wanderung heute ca. vier Std. und ist nach der Strapaze von gestern eine willkommene Abwechslung. Auf dem Rückweg zum Bahnhof setze ich mich noch in ein Café und trinke einen Cappuccino und dazu gibt es als Belohnung einen „echten“ Käsekuchen. Während die Bedienung bei einem Small-talk plötzlich abschweift und über meinen Kopf hinweg spricht, drehe ich mich interessiert um und sehe auf dem Terrassengeländer direkt hinter und über mir einen großen weißen Vogel: Ein Kakadu; mal was anderes als die Tauben und Spatzen, die man in Fürth im Biergarten an den Tischen zu Gesicht bekommt. Zum Glück bleibt der Kopf von Tiersekreten verschont und so mache ich mich zufrieden zurück auf den Weg in meine Unterkunft.
Mein letzter ganzer Tag in Blackheath. Ich fahre mit dem Zug nach Wentworth Falls, einer Kleinstadt entlang der Bahnstrecke nach Sydney. Ein Gast im Sportshouse hat mir erzählt, dass es dort einen der besten Trecks der Region geben soll. Eine neue Herausforderung also, nach dem „Schontag“ gestern. Nicht weit vom Bahnhof in Wentworth Falls beginnt ein kleiner Park und dahinter der Charles Darwin Walk. Darwin ist diese ca. drei Km lange Strecke 1836 gegangen, als er Teile der Blue Mountains durchquerte. Der Weg endet an der Wentworth Picknick Area, von der ein Ziehweg hinüber zum Wasserfall führt. Vom Klippenrand, an dem das Wasser aus einem Bach nach unten stürzt, führt ein Pfad hinunter zum Fuße des Wasserfalls. Die Klippen fallen hier ca. 200m senkrecht nach unten. Der Weg ist teilweise in den Steilhang gefräst, aber zum Tal hin mit einem stabilen Geländer abgesichert. Trotzdem halte mich beim Abstieg gelegentlich mit beiden Händen am Handlauf fest. Einige Passagen muss ich wieder über die steilen Metallleitern nach unten gehen. Für mich, als nicht ganz schwindelfreien Bergwanderer, ist das alles andere als ein Spaziergang. Nach ca. 500m Wegstrecke ist der steilste Abschnitt geschafft. Ich erreiche ein kleines Becken, auf das das Wasser aus 20 Metern Höhe herabstürzt. Noch bin ich nicht alleine, eine geführte Gruppe von jungen Erwachsenen erreicht die Stelle, die ungefähr die Hälfte der gesamten Fallhöhe des Wasserfalls markiert, kurz nach mir. Danach wird es noch einmal für einige Meter steil, bevor es dann wieder in den Busch hinein geht. Es bleibt zwar weiter steil, aber ich fühle mich im Wald, ohne ständig Blickkontakt zum Fuß des Berges zu haben, wieder etwas sicherer. Nach einigen Minuten erreiche ich den untersten Bereich des Wasserfalls. Überall liegt herabgestürztes Geröll von Perlen- bis hin zur Kleinwagengröße herum. Am Felsboden hat sich im Laufe der Jahrtausende ein Becken eingetieft, das nun mit eiskalten Wasser gefüllt ist und einen Durchmesser von ca. 10m hat. Das herabfallende Wasser verursacht ein Grundrauschen in meinen Ohren. Ich setzte mich auf einen der Felsen Marke VW Käfer und betrachte die Wasseroberfläche, das Spiegelbild der Felswände im Becken und genieße, obwohl es sich in meinen Ohren immer noch anfühlt, als wäre der Wasserkocher an, eine andere Art von Stille und die Abgeschiedenheit hier unten, fernab von all dem Trubel dort oben. Nach einer Weile mache ich mich entlang des kleinen Baches, der aus dem Becken gespeist wird, auf den Weg zum Wentworth Pass, der parallel zum Kliff verläuft. Nach zahlreichen Bachüberquerungen erreiche ich nach ca. zwei Stunden den Fuß des Lendor Waterfalls auf der gegenüber liegenden Seite. Er ist weniger mächtig als der Wentworth Wasserfall, sein Wasser stürzt nicht herab, vielmehr strömt es fast leise über ein halbes Dutzend Stufen herab ins Tal. Der Weg schlängelt sich weiter den Schuttkegel hinauf. Nach einer weiteren halben Stunde bin ich am Empress Waterfall, der ebenfalls über einige aufgestaute Terrassen nach unten strömt und im unteren Bereich ein kleines Becken angestaut hat. Der Anblick der Wasserfälle macht mir den Aufstieg auf die Klippe etwas leichter. Nach nun insgesamt fünf Stunden bin ich wieder auf dem Rand der Hochfläche. Der Overcliff Track führt mich am Klippenrand entlang wieder in Richtung meines Ausgangspunktes zurück. Nach zwei Km geht der Pfad in den Undercliff Track über. Er führt ca. 10m unter dem Klippenrand entlang. Der Weg ist zum einen aus der rückschreitenden Erosion, durch das aus der Felswand austretende Wasser, entstanden. Andere Abschnitte sind verbreitert und einige auch vollständig von Menschenhand künstlich geschaffen worden. Das Wasser rinnt am Innenbogen des Weges aus der Felswand herunter auf den Weg. Es wird sehr feucht und glitschig. Ich wate durch Pfützen und Schlammlöcher, überall wachsen plötzlich Farne, Flechten und Moose. An anderen Stellen strömt das Wasser an der Kliffseite von oben in feinen Fäden herab und verschließt den Weg wie eine Gardine das Wohnzimmer eines Hauses vor den Blicken von außen. Teilweise kommt das Wasser auch direkt aus der Decke, sodass ich meine Kamera für den weiteren Weg wasserdicht verpacken muss. An besonders steil abfallenden Stellen gibt es ein Geländer, in der Regel ist die Einbuchtung aber über zwei Meter breit, so dass ich meinen Weg, obwohl die Steine und Treppenstufen sehr rutschig sind, mit einem guten Gefühl und relativ zügig bis hinüber zum Wentworth Fall und anschließend zur Wentworth Station fortsetzen kann. Wieder in Blackheath angekommen zieht mich eine kleine Werbetafel im Schaufenster des hiesigen Metzgers magisch an: „Try our Blackheath Bratwurst“. Gesagt, getan. Schnell zwei gekauft, in der Pfanne gebraten, mit Süßkartoffeln im Eiltempo verputzt und mit vollem Magen ins Bett und binnen Sekunden in den verdienten Schlaf gefallen.
Am nächsten Morgen fahre ich mit dem Zug wieder zurück nach Sydney Central Station und gleich mit dem Bus weiter zum Domestic Airport, von wo ich um 16.00 Uhr mit Quantas in das 1000 Km entfernte Brisbane fliege.