Ich will die zweite Fähre um zehn Uhr nehmen. Die „Lady Samoa III“ ist die größere der beiden Autofähren, die zwischen der Mulifanua Wharf (Upolu) und der Salelologo Wharf (Savai’ì) verkehrt. Ich nehme mir wieder mal ein Taxi, wechsle zwischen durch noch kurz Geld an der Bank und schon sind wir in Verzug. Der Fahrer rast für hiesige Verhältnisse wie ein Formel-Eins-Pilot über die holprige und stark befahrene Ringstraße, die auch zum Flughafen führt. Acht Minuten bevor das Boot ablegt erreichen wir den Hafen. Noch schnell ein Ticket gekauft, und dann als Letzter, durchgeschwitzt und außer Atem das Schiff erreicht. Die Fähre ist ein richtiger Seelenverkäufer. Überall glänzt der Rost. Aber das Personal ist sehr freundlich, was dann auch mich wieder zuversichtlicher stimmt. In der Lounge läuft der Fernseher und es gibt Kaffee, Gebäck und Sandwiches zu kaufen. Die See ist ziemlich rau, hinzukommt, dass ich nicht unbegrenzt seetauglich bin! Soll heißen, die Überfahrt ist eher ungemütlich. Erst als wir eine Stunde später die Anlegestelle in Salelologo erreichen bin ich wieder etwas entspannter. Dort holen mich Mirka und Siggi, die ich an der USP in Suva kennengelernt habe, ab. Mit ihrem Mietwagen fahren wir in ein nahegelegenes Restaurant zum Essen. Ich bestelle mir Fischburger (mit gegrillten Tunfisch) und dazu ein nach deutschen Reinheitsgebot gebrautes Vailima Bier. Danach fahren wir in nördliche Richtung in das kleine Dorf Lano, in dem wir in einem der „Beachfales“ übernachten wollen. Das samoanische Wort „Fale“ steht für Haus. Letztendlich handelt es sich hier aber um kleine Hütten, die den traditionellen Häuser nachempfunden wurden. Das große „Gästehaus“, das uns als Aufenthaltsraum dient und in dem auch das Frühstück und das Abendessen serviert wird, steht gleich am Eingang der Anlage. Das „Fale“ ist ein großer, offener Raum, in dem entweder – wie in unserem Fall – auf Stühlen und Bänken oder aber auf aus Kokospalmenblättern geflochtenen Matten einfach nur am Boden sitzt. Dort befindet sich auch eine kleine Küche, die räumlich aber abgetrennt ist. Am „Eingang“, neben der Küche, hängen am Dachbalken zwei Bananenstauden, von denen sich jeder nehmen kann. Die Anlage hat zwölf „Hütten“, wovon die meisten direkt am Strand liegen. Als wir ankommen treffen wir schnell auf Flavien, einen jungen Franzosen, der zur Zeit der einzige Gast in der Anlage ist. Er hat mit einem Work und Travel Visum in Neuseeland gelebt und gearbeitet. Nachdem sein Visum mit einer halbjährigen Verlängerung endgültig abgelaufen war, hat er einen zweiwöchigen Urlaub auf Samoa eingeschoben, bevor es danach für ein weiteres Jahr nach Australien geht. Sein Plan ist es für fünf Jahre die Welt zu bereisen.

Mein Fale steht ziemlich zentral, direkt am Meer. In der Regel sind die Hütten für zwei Bewohner ausgelegt. Das Grundgerüst ist komplett aus Holz, die Form ist in der Regel ein Rechteck mit an den beiden kurzen Seiten angesetzten Dreiecken. An jeder Ecke befindet sich ein ca. zweieinhalb Meter langer Holzbalken, der vom Boden bis zum Beginn der Dachkonstruktion reicht. Der Boden der „Hütte“ befindet sich gut einen Meter über der Erde. Am oberen Ende der Stützbalken beginnt das mit Palmenblättern belegte Spitzdach, sodass man in der Mitte des Fales auch aufrecht stehen kann. Es ist grundsätzlich nach allen Seiten hin offen, jedoch hängen immer zwischen zwei Stützbalken aus Palmenblättern geflochtene, aufzieh- oder ausrollbare „Vorhänge“. Auf dem Dielenboden liegen ebenfalls aus Palmblättern geflochtene Matten. Als Schlafplatz dient eine Doppelmatratze, gelegentlich auch ein richtiges Bett. Darüber hängt das in der Dachkonstruktion befestigte Moskitonetz – oder das was von ihm nach jahrelanger Nutzung noch übriggeblieben ist. Vermietet werden die Hütten mit Halbpension (Frühstück und Abendessen) immer pro Person. Hier bezahle ich dafür 60 WST (Western Samoan Tala), was ungefähr 24 Euro entspricht. Nachdem wir unsere neue Unterkunft bezogen haben, setzen wir uns in das Familienfale, trinken einen Instantkaffee und tauschen die Erlebnisse der letzten zwei Wochen aus. Zum Abendessen gibt es ein Büffet mit Fisch, Hühnchen, verschiedenen Gemüse wie Taro, Brotfrucht, Bohnen, dazu Salate mit Tomaten, Paprika und Zwiebeln und Reis; Ananas und Papaya zum, Nachtisch. Dazu genehmigen wir uns wieder ein Vailima Bier und später noch einen Kahlúa, zur Feier des Tages. Die beiden kleinen Kinder der Betreiber, ein Mädchen und ein Junge, wachsen uns in den nächsten Tagen sehr ans Herz. Obwohl keine Schulferien sind, sind sie den ganzen Tag auf der Anlage unterwegs, um mit den Gästen ein Schwätzchen zu halten, zu schwimmen oder einfach nur rumzutollen. Schule fürs Leben halt!

Als ich nach Sonnenuntergang, nachdem ich das Moskitonetz mit Pflaster notdürftig repariert habe, auf meiner Matratze liege , höre ich nur noch das angenehm leise, leichte Schlagen der Wellen an den Strand und hier und da einen nachtaktiven Gecko lamentieren. Es ist richtig dunkel am Platz. Die Lichter im Haupthaus, der Küche und in den anderen Fales sind mittlerweile alle erloschen. Ich rolle die „Vorhänge“ herunter, nur eine Balkenbreite zum Meer lasse ich offen. Von meinem Bett aus schaue ich hinaus auf die glatte und wegen des Vollmonds leicht glänzende Oberfläche des Ozeans. Nahezu paradiesisch, denke ich mir. Bis ich mich plötzlich an Mirkas Worte erinnere: „Wenn es bebt und die Erde ordentlich wackelt, haben wir noch zehn Minuten Zeit bis der Tsunami kommt“. Ein Paradies mit Einschränkung. Dieser Gedanke lässt mich noch eine Weile wach bleiben, bis ich schließlich weit nach Mitternacht endlich einschlafen kann.

Am Morgen werde ich von der aufgehenden Sonne geweckt. Es ist halb sieben. Ich bin der erste, der aufsteht. Ab halb acht gibt es Frühstück. Danach machen wir drei und Flavien einen Ausflug mit dem Auto an die Südküste. Zuerst wollen wir zum Pulemelei Wasserfall. Siggi schmunzelt, als wir den Vorschlag diskutieren und betont, dass seine Erlebnisse in den letzten Jahren mit sogenannten Wasserfällen immer eher Reinfälle fahren. Wenn es gut lief waren es kleinere Bäche und wenn es nicht so gut lief, rieselten oder tröpfelten Rinnsale die Steilwände herab, erzählt er uns schmunzelnd. Aber die Neugierde von uns anderen setzt sich am Ende durch. Wir machen den Ausflug trotzdem. Wir fahren die Ringstraße Richtung Süden, gleich nach dem Flughafen führt eine Piste bis zum „Kontrollpunkt“ hinauf. Dort steht ein Fale. Vier ältere Männer sitzen um einen Laptop herum. Es läuft ein chinesischer Film, dazu wird kräftig geraucht. Wir haben noch nicht einmal den Motor ausgemacht, steht einer der Herren schon an unserem Fahrzeug: „Five Tala“, das ist alles was wir von ihm zu hören bekommen. Dazu vielleicht noch ein kurzer Moment des Grinsens. Erst als wir unsere fünf Tala pro Person, die für die Besichtigung des Wasserfalles anfallen, entrichtet haben, wirkt er ein wenig entspannter und nickt, nachdem er die Geldscheine geprüft hat, mit dem Kopf. Als Siggi ihn fragt, ob es dort oben einen Wasserfall gibt, antwortet er nur kurz „Yes, yes. Waterfall“ und deutet in die Richtung des Pfades.

Da die Touristenspots in der Regel alle auf Dorfgrund und somit auf Gemeinschaftseigentum liegen und von den Dorfbewohnern auch mehr oder weniger „gepflegt“ werden, ist es in Samoa – wie übrigens auch in Fiji – üblich, dass Besucher eine Eintrittsgebühr, andere bezeichnen es auch als Aufwandsentschädigung, entrichten müssen. Da in weiten Teilen Savai’is noch Subsistenzwirtschaft betrieben wird, ist diese Bargeldeinnahme für viele Dorfgemeinschaften ein gerne gesehenes und auch wichtiges Zusatzeinkommen. Insbesondere dann, wenn in den Dörfern immer noch der klassische Tauschhandel, Ware gegen Ware oder Ware gegen Dienstleistung, praktiziert wird.

Wir laufen den Pfad weiter hinauf, vorbei an zwei kleineren Wasserfällen (Fallhöhe ca. 2 Meter), um schließlich nach 300 Metern „den Wasserfall“ zu erreichen. Zuerst erspähen wir das kreisförmige Wasserbecken, ca. 100qm groß. Das Wasser ist klar, aber kalt. Erst unser zweiter Blick geht nach oben. Siggi fängt an zu lachen und startet, wie wenn er nur darauf gewartet hätte, einen minutenlangen gestikulierenden Monolog bezüglich seiner Erfahrungen mit Wasserfällen rund um den Globus und in Entwicklungsländern im Besonderen. Wir müssen ebenfalls lachen. Und wir müssen ihm uneingeschränkt Recht geben! An unserem Möchtegernwasserfall fällt kein einziges Tröpfchen, geschweige denn fließt oder gar strömt Wasser die zehn Meter Fallhöhe hinunter. Oberhalb des Beckenrandes sehen wir einige kleinere Bäche, die wohl das halbvolle Becken speisen. Mirka, Flavien und ich haben aber trotzdem Spaß und springen hinein und schwimmen ein wenig umher. Siggi bleibt draußen und beobachtet uns immer noch mit einem breiten Grinsen.

Als wir zum Kontrollpunkt zurückkommen sitzen die fünf Herrschaften immer noch vor ihrem Laptop und starren gebannt auf ihren chinesischen Liebesfilm. Die Einladung mit ihnen – was auch immer – zu rauchen, schlagen wir ebenso aus wie wir uns einen Kommentar zum ausgetrockneten Wasserfall ersparen. Vielmehr machen wir uns, immer noch mit einem Lächeln im Gesicht, auf den Weg zur Pulemelei Pyramide, unserem nächsten Ziel des heutigen Ausflugs. Sie soll das größte und älteste polynesische Bauwerk im Südpazifik sein. In nur zwei Reiseführern finden wir überhaupt eine Wegbeschreibung. Die Steinpyramide liegt fernab der Hauptstraße mitten im Dschungel. Kurz bevor wir wieder auf die Ringstraße gelangen, treffen wir auf eine Frau, die uns auf Nachfragen eine Führung dorthin anbietet. Für 200 Tala, pro Nase. Auch als wir bei 120 angekommen sind, ist uns das immer noch zu viel. Aber so schnell aufgeben wollen wir auch nicht. Wir Männer sind abenteuerlustig und wollen es auf eigene Faust versuchen. Die Abzweigung an der Hauptstraße finden wir schnell. Nach 500 Metern ist eine Flussfurt angekündigt. Wir sind froh, dass wir einen 4-WD haben, die Sand- und Schotterpiste ist stark ausgefahren. Trotzdem setzen wir einige Male auf. Als wir den Fluss erreichen steigen wir aus, um uns einen Überblick zu verschaffen. Die gute Nachricht: Er führt kein Wasser. Die schlechte Nachricht: Am Flussufer geht es einen Meter senkrecht nach unten. Das schaffen wir mit unserem 4-WD auf keinen Fall und wohl auch die meisten anderen hätten hier die Segel streichen müssen. Unsere Männerehre ist angekratzt, aber angesichts der im wahrsten Sinne des Wortes unüberbrückbaren Hindernisse geben wir uns geschlagen. Wir laufen noch ein wenig im „Flussbett“ in östlicher Richtung entlang. Alles ist mit Gesteinsschutt übersät. Kleine, eier- bis kartoffelsackgroße, vom Wasser geformte, grau bis ins Anthrazit gehende Kieselsteine lassen erahnen, welche Kräfte hier walten müssen, wenn der Fluss zur Regenzeit geflutet ist. An den Ufern stehen vereinzelt Palmen, hier und da Bananen- und Brotfruchtbäume, dazwischen finden sich größere Grasflächen mit mannshohen Sträuchern und eine Pflanzenart, die alle anderen in ihrer Präsenz aussticht. Es handelt sich um eine invasive Weinart, die den endemischen Pflanzen, vor allem den Kokospalmen den Garaus macht. Wie übergroße Zahnstocher stehen einige wenige, teilweise noch von der Kletterpflanze umschlungen, einsam auf weiter Flur. Wir fahren zurück auf die Hauptstraße und steuern unser letztes Ziel an: Ein erloschener Vulkan im Süd-Osten der Insel. Er liegt ebenfalls unweit des Flughafens, ganz in der Nähe der Küste. Nachdem wir an der Zugangsstraße wieder unsere fünf Tala pro Mann und Frau bezahlt haben, folgen wir der Beschreibung der jungen Kassiererin und finden nach einigen Umwegen auch das Hinweisschild zum Krater. Der Aufstieg entlang eines Pfades durch den dichten Tropenwald ist einige hundert Meter lang. Wir erreichen eine Kante, an der es steil nach unten geht. Aber den Krater können wir aufgrund der dichten Vegetation erst gar nicht genau lokalisieren. Vom Boden des ehemaligen Vulkans ragen Baumkronen, bis zu uns herauf. Auch sie sind fest in der Hand der Schlingpflanze. Gegenüber sehen wir eine graue Wand, die noch einmal 10 Meter nach oben reicht. Es ist heiß und extrem schwül. Ich spüre eine Energie aus dem Krater. Sie ist irgendwie bedrückend und lässt mir alle Körperhärchen aufstehen. Wir machen uns wieder auf den Rückweg. Nassgeschwitzt schleichen wir den rutschigen Weg hinunter zum Auto und fahren wieder zurück zu unseren Fales. Ausgehungert und leergeschwitzt stürzen wir uns auf Abendessen und die kalt gestellten Vailima Biere.

Siggi und Mirka fahren am nächsten Morgen nach Upolu zurück. Ich mache mich auf den Weg nach Manase im Norden der Insel. Um 9.00 Uhr steige ich in den Bus, der nur spärlich besetzt ist. Die Busse in Samoa gleichen sich in Form und Funktionalität, nur die Anstriche variieren mitunter sehr stark. Die Chassis mit Antrieb wird in Japan gefertigt. In Samoa wird der hölzerne Aufbau hergestellt und aufgesetzt und schließlich bemalt oder auch professionell lackiert. Meist sehr bunt, oft mit religiösen Bildern, manchmal auch mit kommerziellen Werbebannern. Ich stelle meinen Rucksack auf eine der spartanischen Holzbänke und setze mich daneben. Die Fenster sind alle geöffnet. Wer zusteigen möchte, winkt einfach auf der Straße, wer aussteigen will, nennt den Zielort entweder beim Einsteigen dem Fahrer oder brüllt ihn kurz vor Erreichen des Zieles nach vorne. Das Brüllen ist deshalb notwendig, weil in jedem Bus der berühmt-berüchtigte Südsee-Pop auf voller Lautstärke läuft. Ich habe gelesen, dass die Fahrgäste ihre Busse sogar nach der Playlist ihrer Fahrer auswählen und dafür auch mal gerne eine Stunde länger am Straßenrand warten. Ob Frau, Mann, Baby, Jugendlicher, Heranwachsender oder ältere Menschen, alle lauschen sie mehr oder weniger der Musik. Einige wippen mit den Schultern mit, schlagen den Takt mit dem Fuß oder singen die Texte sogar mit. Unerklärlich bleibt mir wie einige der Passagiere bei diesem Lärm schlafen können. Als wir das Ortsschild in Manase erreichen, erinnert sich der Fahrer noch genau an meine Angaben, obwohl in der Zwischenzeit doch noch etliche andere Fahrgäste zu und ausgestiegen sind. Jane`s Beachfales liegen an einem goldfarbenen, feinen Sandstrand direkt an der Hauptstraße. Das Grab der Namensgeberin ist gleich rechts neben dem Eingangstor, linkerhand steht ein alter US Armee Truck aus dem zweiten Weltkrieg. Die Fales sind anderes als die in Lano. Sie sind außen mehrfarbig gestrichen, haben eine kleine Veranda und die Wände sind bis zu einem Meter Höhe durchgehend verbrettert, darüber sind im Abstand von 20 Zentimetern schmale Pfähle bis zum Beginn der Dachkonstruktion angebracht. Als ich am Abend am Strand liege, sehe ich Wasserschildkröten, die bis auf 10 Meter an den Strand herankommen und ab und an ihren Kopf aus dem Wasser heben. Als ich auf sie zulaufe verschwinden sie schnell wieder in tieferen Gewässern. Ich bin der einzige Gast auf der Anlage, aber ich genieße die Ruhe und die Hingabe, mit der sich die Rezeptionistin – und gleichzeitig Köchin – um mich bemüht. Als die Sonne hinter dem Horizont verschwunden ist, gehe ich ins Bett und plane noch meine Weiterfahrt für Morgen nach Falealupo.

Heute ist Donnerstag und es fährt nur ein einziger Bus weiter Richtung Westen. Ich sitze mit der Rezeptionistin an der Haltestelle und warte auf den Bus. Sonst ist niemand auf der Straße. Es ist fast Mittag, es ist heiß und schwül. Er kommt pünktlich, gewöhnlich sind einige Minuten zu früh bis zu 15 Minuten später keine Seltenheit. Mit deutlichen Handbewegungen fordere ich ihn zum Halten auf. Der Wagen ist entsprechend voll und die Musik ist auch nicht viel unangenehmer als gestern, aber dafür noch lauter. Mein Gepäck wird nach hinten auf die letzte Bank durchgereicht. Ich sitze in der Mitte des Busses. Der kühlende Fahrtwind, der durch die offenen Fenster durch den Bus weht, ist angenehmer als jede Klimaanlage. Nach zwei Stunden hält der Fahrer an einer Abzweigung an. „Dort geht es nach Falealupo“, sagt er. Der Rucksack wird mir nach vorne gegeben, ich steige aus und mache mich auf den Weg. Es ist früher Nachmittag. Es ist sehr heiß, die Straße führt mitten durch den Regenwald hinunter zur Küste. Nicht einmal der Hauch eines Windes ist zu spüren. Nach über eineinhalb Stunden habe ich die sechs Kilometer endlich geschafft. Wie gerne wäre ich bei dieser Hitze getrampt, aber auf den Straßen Savai’is sieht man nur sehr selten mal ein Fahrzeug, meistens sind es die Busse des öffentlichen Nahverkehrs, hier und da mal einen Tourbus oder ein Leihauto. Samoanische Privatfahrzeuge sind die Tage so selten anzutreffen wie Touristen. Siggi hatte mir eine neue Übernachtungsmöglichkeit am Ende der Ortschaft empfohlen: Seeties Beachfales. Auf dem Weg dorthin muss ich mich immer wieder mit Hunden auseinander setzten, die entweder ihr Revier verteidigen oder streunend durch das Dorf ziehen. Es gibt auffällig viele Hunde hier in Savai’i, nur wenige sind zurückhaltend oder gar scheu. So langsam gewinne ich den Eindruck, als stünde meine nächste Inkarnation in der Tierwelt an. Die fünf Fales, drei kleinere und zwei größere, in denen auch leicht zwei große Matratzen Platz hätten, hat der Besitzer (leider habe ich seinen Namen vergessen), ein Mann um die 60, alle selbst und mit Ausnahme der Nägel und der Lacke bzw. Farben auch ausschließlich mit Materialien aus seiner Farmwirtschaft hergestellt. Er habe mit der Vermietung erst letztes Jahr begonnen, erzählt er mir und sei noch dabei zu lernen, wie ein solches Unternehmen zu führen sei. Auch das Essen, wie gehabt Frühstück und Abendessen, besteht ausschließlich aus Produkten seiner Landwirtschaft. Eine Ausnahme macht er am zweiten Tag meines Aufenthalts. Um sechs Uhr morgens geht er an den Strand und fängt einen Rifffisch, der dann am Abend von seinem zweitjüngsten Sohn zubereitet und mir serviert wird. Als ich den Jungen frage, wo er gelernt habe so gut zu kochen, antwortete er, dass er es in der Schule gelernt hätte. Ein Hoch auf den Hauswirtschaftsunterricht in der Schule! Ich entscheide mich für das Fale in der Mitte. Es ist das letzte, das er gebaut hat. Ich bin wieder der einzige Gast. Im Zentrum der Anlage fühle ich mich gut aufgehoben. Außerdem habe ich von hier einen schönen Blick auf die kleine Lagune, die direkt davorliegt. Das offene Meer ist nur 50 Meter entfernt. Der Sandstrand ist recht klein, am linken Rand wird er von Lavaströmen, die weit ins Wasser hineinragen, begrenzt. Der Geruch des frisch geschnittenen Holzes, aus dem die Bodendielen geschnitten sind, verfängt sich in meiner Nase. Der Mann erzählt, dass nur die Bäume mit der Kettensäge gefällt wurden, die Weiterverarbeitung habe er mit traditionellen Werkzeugen in Handarbeit gemacht. Als ich am nächsten Morgen aufwache sitzt er schon wieder in der „Werkstattfale“ und hobelt Bretter und Balken für die letzte Hütte, die er auf der Anlage noch bauen will. Die Bedachung, die Vorhänge und die Bodenmatten hat seine Tochter aus den Blättern der Kokospalme geflochten. Wenn sie von ihren Arbeiten erzählen, kann man heraushören, dass sie sie mit viel Hingabe, Sachverstand und auch Stolz ausführen. Das ist heutzutage nicht mehr selbstverständlich, erzählt mir der Mann und ergänzt, dass er bzw. seine Familie die letzte im Dorf sei, die diese Arbeiten noch selbst erledige. Andere griffen schon längst auf die in Großbetrieben hergestellten Produkte oder auf billigere Importe zurück. Neben den Beachfales lebt er vor allem von der Landwirtschaft. Sein ältester Sohn betreibt einen Marktstand im Fährhafen von Salelologo und verkauft dort an sechs Tagen in der Woche Brotfrucht, Papayas, Bananen, Yams, Taro und Kakao. Ich bleibe in der paradiesisch anmutenden Anlage zwei Nächte, dann mache ich mich wieder auf den Weg entlang der Küstenstraße. Weil ich den langen Weg zur Abzweigung nicht noch einmal laufen möchte, miete ich mir ein „Taxi“. In diesem Fall ist es der klapprige Toyota des Bruders des Besitzer, der mich zur Bushaltestelle bringt. Danach fahre ich, wieder mit dem Bus, weiter nach Satiatuia.

Auch heute fährt nur ein Einziger. Die Fahrt ist kurz und die Musik diesmal angenehm leise. In Satiatuia gibt es die einzigen Beachfales an der Südseite Sawai’is. Die Anlage ist schon etwas in die Jahre gekommen und ihre Hütten sind viel größer als die, die ich bis jetzt gesehen habe. Sie haben statt den üblichen Matratzen richtige Betten, in manchen Fales stehen davon sogar drei und mehr. Außer einem Backpacker aus Tschechien und einem Pärchen aus Australien, die an der Südküste surfen, gibt es auch hier keine weiteren Gäste. Der schmale Sandstrand befindet sich ca. fünf Meter unterhalb der Straße und ist über eine hölzerne Treppenkonstruktion zu erreichen. Dem Strand direkt vorgelagert ist ein Korallenriff, das 50 Meter ins Meer hineinragt und sich über eine Länge von mehreren hundert Metern erstreckt. Mit seinen abwechslungsreichen Farben und Formen und den vielen bunten kleinen, aber auch größeren Fischen lädt das Riff zum Schnorcheln ein. Die ersten Meter ist das Wasser über den Korallen aber nur 50 bis 70 Zentimeter – und bei Ebbe noch weniger, tief, sodass ich mich konzentrieren muss, nicht ständig mit den Füßen auf das Riff zu schlagen oder mir Hände, Beine und Bauch an den Korallen aufzuschürfen. Am nächsten Morgen fahre ich mit dem Bus in das Nachbardorf Taga zu den Alofa´aga Blowholes. Die älteren Herrschaften, die wieder in ihrem Fale am Weg zu den Blowholes die „Eintrittsgelder“ kassieren sind gut gelaunt, als ich dort eintreffe. Sie erzählen mir, dass heute ihr letzter „Arbeitstag“ sei. Morgen werden sie von einer anderen Gruppe – wieder älterer Männer – abgelöst, die dann Ihrerseits hier eine Woche ihren Dienst für die Gemeinschaft verrichtet. Da ich heute der erste Besucher bin, haben sie noch kein Wechselgeld in der Kasse und können auf meinen 20 Tala Schein nicht rausgeben. Kurzer Hand wird ein Neffe im Dorf mit dem Smartphone angerufen, um den Schein abzuholen, mit ins Dorf zu nehmen und ihn dort in einem Geschäft wechseln zu lassen. Eine halbe Stunde später mache ich mich auf den Weg zu den Blowholes. Die Küste von Taga ist mit erkalteten Lavaströmen, die weit ins Meer hineinreichen, übersät. Bei starker Brandung hat das Meerwasser über die Jahrhunderte unterirdische Tunnel in das brüchige Gestein gefräst. An einigen Stellen, die weiter landeinwärts liegen, haben diese Röhren einen Ausgang nach oben. Das Meerwasser wird durch die Wellen in den Tunneln komprimiert und dann, wenn der Druck zu groß wird, nach oben in die Höhe katapultiert. Diese Fontänen sind manchmal zehn, zwanzig Meter hoch und wirken für einen Moment wie eingefrorene Wassersäulen, die aber anschließend schnell wieder in sich zusammen fallen. Manchmal verdienen sich die Kinder des Dorfes ein paar Tala hinzu indem sie Kokosnüsse auf die Öffnungen legen, die dann vom einschießenden Wasser in die Höhe geschleudert werden.

Der Rückweg nach Satiatuia ist äußerst mühsam. Es fährt nur noch ein einziger Bus am frühen Abend. Ich warte zwei Stunden am Straßenrand und beobachte die spielenden Kinder auf der staubigen Piste. Von einem jungen Mann erfahre ich, dass in den Dörfern hier abends von den Dorfältesten eine Ausgangssperre verhängt wird. Der sogenannte Matai hält es für sinnvoller, dass die Familien abends in ihren Fales zusammensitzen und miteinander reden und kochen, als dass sie ihren persönlichen Interessen nachgehen und mit Gleichgesinnten, Freunden oder Bekannten “auf dumme Gedanken“ kommen.

Der nächste Tag ist Sonntag. Die Dorfbewohner sind vormittags in der Kirche. Der erste Bus fährt daher erst gegen Mittag. Mit dem australisch-schweizerischen Pärchen zusammen miete ich mir ein Taxi, das uns auf den wie leergefegten Straßen nach Salealogo bringt.

Auf der Fähre – wieder die „Lady Samoa III“ – spricht mich ein Mann an. Er ist Samoaner, hat aber 25 Jahre in Neuseeland gelebt. Er erzählt, dass er sieben Kinder hat. Von sieben verschiedenen Frauen. Aber jetzt habe er die Richtige gefunden. Er ist nicht besonders gut auf seine Landsleute zu sprechen. Er hält es für problematisch, dass viele seiner Landsleute so einfach in den Tag hineinleben ohne irgendeinen Plan zu haben. Das vermeintliche Paradies, wo die Natur die Menschen mit allem versorgt was sie zum Leben brauchen, mache den Einzelnen träge und lasse die Gesellschaft auf einem niedrigen Entwicklungsstand verharren. Andererseits könne er es auch gut verstehen, dass bei einem Lohnniveau von zwei bis fünf Tala die Stunde niemand acht bis zehn Stunden am Tag hart arbeiten wolle und lieber von den Erträgen seiner Landwirtschaft lebt. Er erzählt, dass er sich in seinem Distrikt zum Matai hat wählen lassen und dieses Jahr für das Parlament kandidieren werde, um Dinge zu verändern. Er selbst ist Holzhausbauer. Er habe jetzt endlich einen Auftrag erhalten, bei dem er angemessen entlohnt würde, nämlich mit 15 Tala die Stunde. Es ist der erste Auftrag, den er seit seiner Rückkehr von vor drei Monaten hat an Land ziehen können. Dafür flog er noch einmal nach Neuseeland, um dort moderne Maschinen und Werkzeuge zukaufen. Seine Aussagen decken sich teilweise mit meinen Beobachtungen. Sie sind deshalb sicherlich noch nicht repräsentativ, aber es ist tatsächlich so, dass weite Teile Samoas noch völlig ohne Geldwirtschaft funktionieren. Eine geringe Zahl von Arbeitsplätzen nur in der Plantagenwirtschaft, in der Industrie und im Dienstleistungssektor zur Verfügung steht. Das Hauptexportprodukt ist seit der deutschen Kolonialzeit Kopra. Kopra ist das getrocknete Fleisch der Kokosnuss, aus dem Kokosöl gewonnen wird. Industrielle Arbeitsplätze gibt es nur in den Bereichen des Bus- bzw. Autobaus und in der Herstellung von Baumaterialien, insbesondere von Holz. Der Dienstleistungssektor wird vor allem vom Handel und vom Tourismus geprägt. Ohne die, von im Ausland arbeitenden Samoanern, in das Land gebrachte Devisen wäre die Wirtschaft Samoas – wie in vielen anderen Entwicklungsländern auch – aber gar nicht lebensfähig.