Am 11.11.2016 erreiche ich um 1.40 Uhr Auckland. Bis ich meinen Rucksack geholt habe und durch den Zoll bin, ist es 2.30 Uhr. Da mein Bus nach Rotorua erst um 6.45 Uhr fährt, nutze ich die Zeit um zu frühstücken und mir für mein Smartphone eine neuseeländische Simkarte von Sparks, nach Vodaphone wohl dem besten Anbieter hierzulande, zu kaufen. Als ich gegen Mittag in Rotorua ankomme werde ich vom Vater meines neuen Hosts abgeholt. Für die nächsten vier Tage beziehe ich mein Quartier bei einer Maorifamilie (in deren Sprache „Ma:ri“). Die Eltern vermieten das Zimmer ihres Jüngsten über Airbnb. Connor besucht eine Hockeyakademie in Neuseeland und hat schon mehrere Spiele in den Jugendnationalmannschaften absolviert. Sein Vater ist sehr hilfsbereit: Er fährt mich des Öfteren in die Innenstadt, gibt mir Tipps zu Sehenswürdigkeiten, erklärt mir das neuseeländische Rugby und ermöglicht mir ein Einblicke in die Kultur der Maori.
Am nächsten Morgen buche ich die beiden Hauptsehenswürdigkeiten Wai-O-Tapu und das Waimangu Volcanic Valley in einer organisierten Tour. Eigentlich ist das ja nicht so meine Art, aber ich bin immer noch ausschließlich mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs und die stecken in Neuseeland überwiegend in den Kinderschuhen. Das hat zur Folge, dass ich viele Orte, die mich interessieren schlichtweg nicht erreichen kann. „Wai-O-Tapu Thermal Wonderland“ ist ein geothermisch sehr aktives Gebiet. In der Sprache der Mari bedeutet es „heilige Wasser“. Es entstand vor etwa 160.000 Jahren. Der gesamte Park ist übersät mit Kratern, heißen und kalten Seen und brodelnden Schlammtümpeln. Ein Markenzeichen sind die farbigen Ausfällungen von Mineralien, die das Gebiet mit gelben, grünen, roten und schwarzen Farbtupfern überziehen und somit zum klassischen Rotorua-Bildmotiv machen. Die Anlage ist bequem und in kurzer Zeit per Pedes zu erkunden. Will heißen: Wai-0-Tapu ist vollgepackt mit ausländischen und einheimischen Touristen, insbesondere mit jenen aus der Selfiefraktion. Die beiden Highlights sind der Champagne Pool mit seinen orangefarbenen Rändern und der „Lady-Knox- Geysir“. Letzterer wird täglich um 10.15 Uhr mit Seifenflocken zum Ausbruch gebracht. Die Wasserfontäne ist bis 20 Meter hoch und der „Ausbruch“ kann bis zu einer Stunde dauern. Dieser Teil des Programmes ist noch kostenlos, für das Betreten des Geländes muss ein Eintrittsgeld entrichtet werden. Aber diesmal sitzen keine alten Männer in einem Fale, um die „Parkgebühren“ zu kassieren. Zugegebenermaßen wäre diese Herrschaften wohl auch mit den Besuchermassen aus allen Herren Ländern und im Besonderen aus Fernost, mehr als überfordert.
Das Waimangu Tal steht Wai-0-Tapu in nichts nach. Die Anlage ist aber viel weitläufiger und vielleicht sind die Sehenswürdigkeiten alle eine Nummer unspektakulärer, aber sie sind nicht minder beeindruckend. Die mineralischen Ausfällungen erzeugen auch hier bizarre Formen, leuchtende Farben und allerlei sonderbare Gerüche. Am Ende des Tales erreiche ich den Rotomahanu Kratersee, an dem bis zum Vulkanausbruch von 1886 das „achte Weltwunder“ zu besichtigen war. Aber die beiden großen rosa und weiß gefärbten mehrstufigen Sinterterrassen wurden vom ausströmenden Lava zerstört bzw. überformt, sodass die Informationen und die Bilder, die ich am Tag zuvor im Rotorua Museum zu hören und zu sehen bekam, mir helfen diesen Anblick wenigstens gedanklich nachzuempfinden. Connors Mutter hatte mir als ehrenamtliche Mitarbeiterin des Museums eine Eintrittskarte geschenkt. Dort werden neben Informationen zur Stadt, Landschaft und deren Bewohnern auch nachgestellte Filmsequenzen, originäre Bilder und Schriftdokumente ausgestellt, die sich mit dem katastrophalen Vulkanausbruch beschäftigen, der das Landschaftsbild der Region und das Bewusstsein der Menschen nachhaltig verändert hat. Alles in allem ist mir Rotorua aber viel zu touristisch, ein richtiger Kulturschock nach den zwei Wochen in Samoa. Ganz originell finde ich aber die Eat-Street, einer vor wenigen Jahren neu geschaffenen und kulinarisch durchaus auch anspruchsvollen Fr-Ess-Meile. Sehr zu empfehlen übrigens das Craft Beer Waikato Draught.
Am letzten Tag fährt mich Connors Vater zum Busbahnhof und lädt mich noch auf einen Kaffee ins MacDonalds ein. Er erzählt mir, dass ein Bekannter von ihm den Restaurantbereich mit Mari Kunst (-werken), wie Wandmalereien und Holzschnitzereien mitgestaltet hat. Es soll sich um die erste Niederlassung MacDonalds außerhalb der USA handeln, in der eine individuelle bzw. eine regional geprägte Ausgestaltung der Verkaufsräume umgesetzt wurden. Wir sprechen über meine Erfahrungen in Rotorua; er fragt mich wie es mir ginge, was ich noch alles vor hätte im Leben. Ich erzähle ihm von meiner Reise und meinen Plänen danach. Er spricht über seine ungewohnte Rolle in der Familie, als der Mann im Hintergrund, der die Dinge am Laufen hält. Seine Frau hat nach 20 Jahren, die sie für die Erziehung und Versorgung der Kinder verantwortlich war, vor einem halben Jahr ein Geschichtsstudium an der Universität in Hamilton begonnen. Eine nicht gerade typische Mari-Lebensgeschichte. Wir sprechen über die Bedeutung von Familie, über unsere Kindheit, unsere Enttäuschungen und Träume und er erzählt mir, dass ihr erstes Kind im Alter von drei Jahren bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam. Nun wird mir klar, weshalb wir zwei hier sitzen und reden.
Ich fahre mit dem Intercity Bus weiter nach Taupo. Die Stadt liegt in einem ehemaligen Vulkankrater, der dortige Taupo See ist der entsprechende Kratersee. Den ersten Tag wohne ich wieder in einem Airbnb Quartier, dann ziehe ich um in die Finlay Jacks Jugendherberge. Obwohl ich sehr gerne alleine reise, habe ich jetzt einfach mal wieder das Bedürfnis andere Reisende kennenzulernen und Erfahrungen auszutauschen. Das Hostel bietet dazu einen tollen Rahmen. Das Personal ist sehr freundlich und hilfsbereit, die Küche und der Aufenthaltsraum sind sehr gemütlich. Mein kleines Doppelzimmer ist geräumig und vor allem preiswerter als die Airbnb Unterkünfte in der Stadt. Es fühlt sich gut an mit den anderen zu frühstücken oder beim Abendessen Erlebtes und Gesehenes zu teilen. Auch wenn die meisten von ihnen mindestens 20 Jahre jünger sind als ich ergeben sich gute Gespräche auf Augenhöhe. Projekt „Resozialisierung“ also gelungen!
Das Wetter hat sich zwischenzeitlich extrem verschlechtert. Es regnet seit 24 Stunden ununterbrochen. Sonne und blauen Himmel sehe ich nur auf Prospekten und Postkarten. Nach zwei Tagen schlägt sich der Dauerregen auf mein Gemüt. Ich mache eine kleine Tour, eine dreistündige Wanderung zu den Huka Wasserfällen. Eigentlich mehr eine Beschäftigungstherapie als ein ernstgemeinter Ausflug.
Mein Plan für die nächsten Tage fällt somit buchstäblich ins Wasser bzw. in den Schnee. Die Berge des Tongariro-Nationalparks sind infolge des Wetterumschwungs bis auf 1200 Höhenmeter eingeschneit. Der älteste Nationalpark Neuseelands muss warten. Ich entschließe mich zwischenzeitlich an die Westküste zu fahren. Mein Ziel ist der Mount Taranaki, ein majestätisch anmutender Vulkan in der Küstenebene östlich von New Plymouth. Meine Unterkunft liegt zwei Kilometer außerhalb des Stadtzentrums. Vom Wohnzimmer blicke ich direkt auf den Vulkan, besser gesagt auf das, was die Wolken von ihm preisgeben. Meine neuen Hosts sind ein Pärchen der selteneren Art: Er ist Samoaner mit deutschen Vorfahren und sie eine blonde, waschechte Neuseeländerin. Die drei Tage bei Ihnen im Haus kommen mir vor wie ein Besuch bei Freunden. Wir scherzen, lachen, trinken und essen zusammen, als würden wir uns schon seit Jahren kennen.
Am nächsten Morgen leihe ich mir ein Mountainbike aus und fahre zum Paritutu Rock am Hafen. Der Aufstieg auf den Aussichtspunkt ist sehr steil und anstrengend. Aber dafür werde ich mit einer tollen Aussicht auf den Taranaki – immer noch von Wolken umhüllt – und den Back Beach von New Plymouth belohnt. Wieder auf sicheren Boden erreiche ich über eine Holztreppe den Strand hinter dem Felsen und setze mich auf die unterste Plattform und schaue hinaus auf die stürmische See und die drei vorgelagerten Inseln. Die ersten Sonnenstrahlen seit Tagen lassen den, aufgrund der verwitterten Lavaströme des Mt. Taranaki, pechschwarzen Sandstrand geheimnisvoll im Gegenlicht schimmern. Ich laufe am Ufer weiter Richtung Süden. Die Brandung hat allerlei Unrat angeschwemmt, vor allem Baumstämme, Äste und Seetang, aber auch einen toten und nahezu vollständig verwesten Seelöwen. Wieder an der Holztreppe angekommen sehe ich zwei lebendige Exemplare der Spezies, die sich gut getarnt auf den Steinen in der Sonne aalen. Respektvoll bleibe ich auf der Treppe stehen und begebe mich nicht hinunter auf ihr Terrain. Der größere von Beiden hebt seinen Kopf, schaut ein wenig suchend durch die Gegend und wackelt behäbig und etwas ungeschickt auf den nächsten Felsen, wo er nach wenigen Sekunden wieder einschläft. Was für ein Leben!
Am nächsten Morgen schnappe ich mir noch einmal das Mountainbike und fahre den Coastel Walkway Richtung Norden entlang. Es geht vorbei an Wiesen mit Rindern und Schafen, an herrschaftlichen Strandhäusern entlang der Steilküste. Zurück am Stadtstrand sehe ich ein halbes Dutzend Kite-Surfer in der stürmischen See in ihren Thermoanzügen die Küste auf und ab flitzen und fliegen: Eine sehr beeindruckende Vorstellung!
Am letzten Tag laufe ich in die Innenstadt. New Plymouth ist eine sehr umtriebige kleine Küstenstadt, die allerlei Kulturelles zu bieten hat: Gemütliche Gaststätten, coole Pups, eine Einkaufsmeile mit netten Boutiquen, Kinos, Theater, Museum, ein sehr schön angelegter Park und vor allem das Womad Festival (World of Music and Dance), das jedes Jahr im März tausende von Besuchern anlockt.
Am nächsten Morgen fahre ich mit dem Taxi zur Bushaltestelle und dann mit dem Intercity weiter in den Tongariro-Nationalpark in die beschauliche Siedlung National Park Village.



















