Um 8.10 Uhr geht dem Quantas Airbus nach Christchurch. Ich war es leid wieder Stunden im Bus zu verbringen. Jetstar fliegt die knapp 450 km in 40 Minuten. Weil ich schon eineinhalb Stunden vorher am Flughafen sein will, entscheide ich mich meine Uber-App zum ersten Mal zum Einsatz zu bringen. Schnell finde ich ein Fahrzeug in meiner Nähe, bekomme ein Preisangebot und zehn Minuten später geht es auch schon los. Der indische Fahrer ist sehr gesprächig und gut gelaunt, sodass die 25 Minuten bis zum Flughafen auch schon mal wie im Fluge vergehen.
In Christchurch angekommen hole ich meinen gebuchten Campervan (Zwei Wochen für ca. 700 Euro) im Lucky Rentals`Depot in der Nähe des Flughafens ab und los geht’s Richtung Süden. Nach 250 Kilometern und ein paar Pinkelpausen später erreiche ich den Campingplatz Waitaki Waters. Der Zeltplatz ist klein, aber sehr schön gelegen, mit sauberen Toilettenanlagen und einer Küche mit Wasserkocher, Kühlschrank und sogar einen Gasgrill gibt es im Freien. Ich laufe am Nachmittag die 500 Meter zum Meer hinunter, lege mich in den Sand, strecke meine müden Knochen aus und schaue hinaus aufs Meer. Autofahren ist ganz schön anstrengend.
Bei Sonnenuntergang genieße ich meine erste Brotzeit auf einem Campingplatz in Neuseeland mit Käse, Salami und trinke eine halbe Flasche Rotwein dazu. Kommt mir alles irgendwie bekannt vor! Um neun Uhr liege ich in meinem Toyota Lucina, Baujahr 91, die Vorhänge sind alle zugezogen, auf der einfachen aber erstaunlicherweise doch ganz bequemen Bettkonstruktion und schlafe schnell ein.
Am nächsten Morgen geht es weiter nach Oamaru. Die Stadt hat den Ruf, die – wieder einmal – coolste Stadt Neuseelands zu sein. Und in der Tat ist die Innenstadt sehr chillig. Das hat vor allem mit einem nahezu vollständig erhaltenen viktorianischen Viertel zwischen Innenstadt und dem Hafen zu tun. In den alten und teilweise sehr hübsch renovierten Häusern haben sich eine Brauerei, eine Whiskeybrennerei, einige Kneipen und Restaurants, Kunsthallen, Werkstätten, Ateliers, Galerien, kunsthandwerkliche und Secondhand-Läden etabliert. Im Café am Hafen trinke ich noch einen Cappuccino, esse dazu einen Kuchen und fahre dann weiter zum Zeltplatz Olive Grove Lodge & Holiday Park, zehn Kilometer nördlich von Moeraki. Der Zeltplatz liegt an einem Flussmäander, auf der Wiese nebenan grasen Alpakas, Kühe und Schafe. Es sind, wie schon am gestrigen Abend, nur eine Handvoll Stellplätze belegt. Die Küche, Lounge und sanitären Anlagen werden von dem Besitzerehepaar gut in Schuss gehalten. Nur die Sandflies, die abends sehr aufdringlich werden, sind etwas ärgerlich.
Am nächsten Morgen breche ich früh auf, um die Moeraki Boulders bei dezenten Morgenlicht möglichst ohne „Mittouristen“ zu erreichen. Die eier- bis kugelförmigen Steine mit einem Durchmesser von bis zu zwei Metern, bestehen aus Schlamm, feinem Lehm und Ton und werden von Calcit zusammengekittet. Die Steine sind mit großen Rissen, die von einem hohlen Inneren ausstrahlen, durchzogen. Sie entstanden aus paläozänen Sedimenten vor ungefähr 60 Millionen Jahren und verschwanden dann unter anderen Ablagerungsgesteinen. Als Flüsse und das Meer das überdeckende Schluffgestein abgetragen hatten wurden die Kugeln freigelegt. Die Entstehungszeit der großen zwei-Meter-Boulders wird auf vier bis fünf Millionen Jahre geschätzt.
Meine Hoffnung erfüllte sich nicht. Die chinesischen Selfie- und Fotofetischisten waren diesmal noch früher auf als ich. Trotz allem hält sich der Ansturm auf die Steine in den ersten Morgenstunden in Grenzen. Einigen Jugendlichen scheint es so richtig heiß zu sein, sie nehmen ein Bad im eiskalten Pazifischen Ozean. Ich bekomme schon vom Hinsehen Gänsehaut. Die an die zwei Dutzend grauen und schwarzen Steine wirken aus kurzer Entfernung betrachtet ein wenig wie Schildkrötenpanzer, nur ein wenig größer. Einige sind der Verwitterung schon zum Opfer gefallen und liegen in ihre Einzelteile zerfallen am Sandstrand, bzw. das, was die Touristen noch nicht als Andenken mitgenommen haben. Aufgrund der Besonderheit der Steine ist der Platz auch für den einzigen Mari-Stamm der Südinsel ein wichtiger Kultort. Sie brauchen dafür weniger einen wissenschaftlichen als vielmehr einen sagenbehafteten Erklärungsansatz. Er geht wie so viele ihrer Legenden auf die Besiedlung Aotearoas durch die Polynesier zurück. Danach sind die Steine Reste von Körben und Gemüse, die von dem Wrack eines ihres Kanus an die Küste gespült wurden. Demnach sind die Klippen, die sich dort ins Meer erstrecken, der versteinerte Rest eines Bootskörpers und ein in der Nähe zu sehender Felsvorsprung der versteinerte Körper des Kapitäns des Kanus.
Gegen Mittag erreiche ich Dunedin, die schottischste Stadt Neuseelands. Als ich in der Innenstadt ankomme, spielt gerade eine Band im angrenzenden Park. Ganz in der Nähe versucht sich ein Dudelsackpfeifer und weiter unten in der Straße sind einige ältere Herrschaften im Kilt unterwegs. Ich schaue mir noch den viktorianischen Bahnhofs Dunedins an und schlendere ein wenig durch die Stuart Street mit ihren coolen Cafés, Second-Hand- und Bücherläden.
Als ich Dunedin verlasse, fängt es an zu regnen. Ich habe vor, auf einem der vielen freien Standplätze Neuseelands zu übernachten. Aber als ich an dem Platz ankomme, muss ich erkennen, dass auch schon 15 andere Camper diese Idee hatten. Leider sind nur sieben Stellplätze ausgewiesen. Also suche ich mir über mein Campermate-App einen neuen Zeltplatz. Fündig werde ich mit der DOC Campsite Purakaunui Bay in der Nähe von Papatowai. Von der Küstenstraße geht es über einige Kilometer Schotterpiste zu einer kleinen Bucht. Als ich dort ankomme, haben sich bereits drei Fahrzeuge einen schönen Platz mit direkten Blick auf die Bucht und das Meer gesichert. Aber auch ich finde auf der Wiese schnell einen schönen Standplatz. Die DOC Campingplätze sind in sechs Kategorien unterteilt: Serviced, Scenic, Standard, Basic, Backcountry und Great Walks Campsites. Einige davon können und einige müssen vorgebucht werden (z.B. Kategorie 6), wenige sind betreut (K 1), die meisten Do-it-yourself-Campingplätze. Die Kategorien und die entsprechenden Preise sind auf der DOC-Homepage (http://www.doc.govt.nz/parks-and-recreation/things-to-do/camping) ausführlich erläutert.
Der hiesige Zeltplatz gehört zur Kategorie 3. Zwei Biotoiletten, das war´s. Die Registrierung erfolgt über ein Formblatt, das an der Infotafel des Zeltplatzes erhältlich ist. Ein Abriss davon kommt an die Windschutzscheibe und der Durchschlag mit dem entsprechenden Geldbetrag wird in eine Box geworfen, die in der Regel täglich von einem Ranger geleert wird. Nächtliche Kontrollen ob man angemeldet ist und bezahlt hat sind nicht unüblich. Es hat gerade aufgehört zu regnen. Ich habe Bedenken ob ich am nächsten Morgen wieder aus der regendurchtränkten Grünfläche auf die Schotterstraße zurückkomme. Ich stelle den Camper schließlich so auf, dass ich von einer kleinen Anhöhe mit Schuss über die Wiese auf den befestigten Weg fahren könnte.
Als ich von der Toilette zurück zum Auto laufe sehe ich einen Seelöwen am Strand entlang robben. Die See peitsch noch immer auf die vorgelagerten Felsen und die Steilküste. Die Sonne steht nur noch ein einen Fingerbreit über dem Horizont. Das Gegenlicht lässt die Landschaft wie in trübes Wasser getaucht erscheinen. Auf mich wirkt sie wild, mystisch, vielleicht auch bedrohlich aber auch unheimlich schön und sogar meditativ. Als die Sonne am Horizont verschwindet wird es schnell kühler. Ich richte mein Bett, gönne mir noch einen Schluck aus der mitgebrachten Flasche Wein und esse zufrieden meinen Käse und das Ciabatta dazu. Als nur noch der Mond die dunkle Nacht ein wenig erhellt ziehe ich meine Vorhänge zu und schlüpfe äußerst zufrieden mit diesem einsamen, aber außergewöhnlich schönen Platz in meinen Schlafsack und schlafe schnell ein.
Als ich am nächsten Morgen aufwache scheint die Sonne, nur noch wenige Wolken sind am Himmel zu sehen. Plötzlich sehe ich ein Auto auf dem Sandstrand stehen. Drei junge Männer stemmen sich dahinter und versuchen es offensichtlich zu schieben. Einer sitzt am Steuer. Ich laufe zu ihnen hinunter und frage ob ich helfen könnte. Aber die Lage scheint hoffnungslos. Die Jungs sind gestern Nachmittag bei Ebbe über die Sandbank auf eine kleine Anhöhe um die Ecke gefahren, und haben dort – noch einsamer als wir – übernachtet und wollten nun eben wieder zurück. Doch sie haben sich im weichen Sand festgefahren und immer tiefer eingegraben. Die Flut hat in der Zwischenzeit fast ihren höchsten Stand erreicht. Das Wasser steht schon bis an die Schweller. Ich gebe ihnen die Telefonnummer des Rangers und rate ihnen ihn anzurufen, damit er sie mit seinem Range Rover wieder rauszieht. Dann packe ich meine Sachen und mache mich auf den Weg. Mit Schmackes geht es über die Wiese auf den Schotterweg mit seinen unzähligen Schlaglöchern und weiter zurück auf die Hauptstraße, die mich weiter hinein in die Catlins führt.
Die Catlins sind der Teil Neuseelands, der der Antarktis am nächsten liegt. Sie beginnen ca. 20 km südlich von Balclutha. Die Landschaft ist zerklüftet, rau und das Wetter ist unerbittlich. Hier und da eine Farm, noch seltener ein Straßendorf, und eine größere Siedlung sucht man dort vergebens. Der größte Ort dieser abgelegenen und von Menschen scheinbar vergessenen Landschaft ist Owaka mit 400 Einwohnern! Die Straßen sind konsequenterweise nur spärlich befahren. Zahlenmäßig am häufigsten anzutreffende Säugetiere sind Schafe, gefolgt von Kühen. Einheimische auf den Straßen trifft man hier so selten wie in Fürth einen Schotten im Kilt. Zum Meer hin gibt es meistens eine Steilküste, nur an wenigen Bereichen kann man es über zerklüftetes Gelände zu Fuß einfach erreichen. Weiter landeinwärts wird es hügeliger, Grasland, kleinere Wälder und viele Seen und Weiher geben diesen Landstrich durchaus etwas Malerisches.
Ich übernachte im Curi Holiday Park, der definitiv seine besten Tage schon vor Jahrzehnten gesehen hat. Die Ausstattung ist sehr spartanisch, die Zelt und Standplätze der PKWs befinden sich in durch Flachspflanzen getrennten Karrees. Die See dort ist noch rauer als gestern. Der Wind ist stürmisch und bitterkalt, dazu schüttet es wie aus Eimern. Die eine Attraktionen hier am Strand sind die versteinerte Bäume, die bei Ebbe, halb im Sand versunken, zu sehen sind. Die zweite sind die äußerst selten vorkommenden Gelbaugenpinguine, die hier ihre Nistplätze haben und kurz nach Sonnenuntergang an den Strand kommen sollen. In Erwartung dieser eher doch etwas schüchternen Zeitgenossen haben sich am Strand, als ich kurz vor Sonnenuntergang dort eintreffe, mehrere Dutzend Menschen und einige ambitionierte Fotographen mit entsprechenden Equipment bei jetzt leichtem Nieselregen in Position gebracht. Es dämmert bereits. Nichts rührt sich weit und breit. Wir warten noch einmal eine halbe Stunde. Plötzlich zeigt sich ein Exemplar in etwa 50 m Entfernung. Die Objektive werden ausgerichtet, die Handys in die grobe Richtung justiert und dann wird abgedrückt was das Zeug hält. Der kleine Vogel lässt sich von dem Blitzlichtgewitter und hundertfachen Geklicke nicht beirren – wenn er es überhaupt hört – und watschelt langsam, etwas behäbig und ungelenk wirkend an Land und verschwindet sogleich in seinem Versteck. Kurzum. Das war es dann auch. Nur ein einziger Pinguin kam an diesem Abend an Land, um sich uns zu zeigen. Enttäuscht ziehen die meisten ab, einige Unentwegte warten noch länger – vergebens.
Es regnet die ganze Nacht. Trotz der Flachsmauern pfeift der Wind um meinen kleinen Campervan. Am Morgen breche ich früh auf und erreiche gegen Mittag den allersüdlichsten Punkt Neuseelands. Das Wetter zeigt sich von seiner ungnädigsten Seite. Windböen, die mich schwer den Weg halten lassen, gepaart mit einem eisigen und peitschenschlagartigen Regen. Sogar die größeren Bäume geben klein bei, ihre Luvseiten sind im Laufe der Jahre völlig astlos geworden. Eine Infotafel, die die Entfernung zum Äquator und zum Südpol angibt, räumt schließlich die letzten Zweifel aus: Gleich um die Ecke beginnt die Antarktis! Ich muss mich konzentrieren meinen vom kalten Regen mittlerweile schon blau angelaufen Arm beim Selfie oben zuhalten. Der Wind reist ihn immer wieder Richtung Norden. Wie gegen eine unsichtige Mauer drücke ich mich langsam weg vom Kliff und erkämpfe mir durch eine Herde Schafe, die das Wetter überhaupt nicht zu stören scheint, meinen Rückweg zum Auto und verlasse dieses unwirtliche Fleckchen Erde.
Bei Papatowhai mache ich noch einen Halt der besonderen Art: Lost Gypsy; curios and coffee and the winding thoughts theatre.
Blair Somerville bezeichnet sich als „organic mechanic“ und ist der Erfinder der „The Lost Gypsy Gallery“ (Freier Eintritt), die sich in einem abgestellten grünen Bus an der Küstenstraße bei Papatowai befindet. Der Bus ist gefüllt mit ungewöhnlichen, obskuren und vor allem k l e i n e n Wundern, made and collected by a real mastermind. Außerdem hat er seit einigen Jahren eine weitere Ausstellung auf seinem völlig chaotisch aber herrlich anzuschauendem Grundstück „The Winding Thoughts Theatre of Sorts“ (5 NZD Eintritt, Zutritt erst ab 13 Jahren!) geschaffen. Darin stellt er Kunstobjekte und Erfindungen aus, die in Lebensgröße begeistern. Seine Werkstoffe bezieht er aus dem Unrat, den er am nahen Strand findet oder aus Dingen, die andere wegwerfen oder einfach nicht mehr brauchen können. Seit Kurzem befindet sich auch ein kleiner Wohnwagen am Gelände aus dem Kaffee, Kuchen und Snacks verkauft werden. Die Kunstwerke zu beschreiben würde ihnen nicht im Geringsten gerecht werden. Auch im Bild wird ihr Witz, die dahintersteckende Philosophie, die teilweise abnormale Funktionalität oder ihre irre Komposition nicht so abgelichtet, wie sie es verdient hätten. Nach einer Weile bin ich der einzig verbliebene Besucher und unterhalte mich mit Blair bei einem Becher Kaffee (Aus dem Wohnwagen dürfen nur Becher verkauft werden!) über seine Kunstwerke und seine Art zu leben und muss gestehen, dass dieser äußerst sympathische, immer freundliche, sehr zufrieden wirkende, immer über beide Ohren strahlende, seelenruhig seine Erfindungen beschreibende und trotzdem sehr zurückhaltende und immer dankbare Erfinder und Künstler mir ein Lächeln auf die Lippen und eine Glückseligkeit ins Gemüt zaubert, die mich die nächsten Tage förmlich durch die Landschaft schweben lassen. Eben eine Begegnung der besonderen Art.
Thanks Blair!