Nach drei Übernachtungen in dem beschaulichen und liebenswerten Städtchen Arrowtown setzte ich meine Reise zum Lake Wanaka fort. Die Fahrt führt mich auf halben Wege zurück nach Queenstown und dann über die Serpentinen auf die höchste Passstraße der Südinsel und im Osten hinunter in die Ortschaft Cardrona. Der Ort wurde während des Goldrausches den 1860er-Jahren gegründet. Damals lebten im und um den Ort an die 5000 Menschen, heute sind es noch ein paar Dutzend. Das Straßendörfchen ist ein bisschen das kleinere Abziehbild von Arrowtown. Im Zentrum gibt es eine Handvoll älterer Gebäude, einige davon ganz liebevoll restauriert. Insbesondere das Hotel mit dem davorstehenden Oldtimer, nebst Restaurant und Biergarten zieht die Blicke der Besucher auf sich. Der Garten ist riesig und mit seinen großen Holztischen und –bänken, einem offenen Kamin und den vielen Blumen und Sträuchern bei reichlich Sonnenschein sehr gemütlich. Ich bestelle mir einen Milchkaffee und ein Stück Kuchen. Danach laufe ich danach ein paar Meter die Straße hinauf, wo noch das ehemalige Schulgebäude und eine alte Tankstelle am Post- und Telegraphengebäude zu sehen sind. Ein paar Kilometer weiter liegt ein Skigebiet, das noch im Naherholungsbereich Queenstown`s liegt, aber im Sommer eher gespenstisch wirkt. Als ich die Ortschaft Richtung Süden verlasse, fällt mir ein Holzzaun auf, an dem hunderte von BHs hängen. Der Wagen vor mir hält an und eine Frau steigt mit ihrem Fotoapparat aus dem Auto, um einige Bilder zu machen. Ich gehe ebenfalls auf die Bremse und stelle mein Auto auf der kleinen Zufahrtsstraße ab. Tatsächlich befinden sich auf einer Länge von ungefähr 30 Metern dicht an dicht Bras in allen Farben, Größen, Formen und Stoffen. Beim Abschreiten des außergewöhnlich dekorierten Zaunes stoße ich auf eine kleine Infotafel, die zwischen zwei Brettern befestigt ist. „Viele Leute interessieren sich für BHs, aber nur wenige Menschen interessieren sich für Brustkrebs bei Frauen“. Mit diesem außergewöhnlichen Blickfang – der nicht nur Männer anzieht – wird auf die Krankheit, die weltweit jährlich zigtausende von Opfern fordert, aufmerksam gemacht und mit der Angabe einer Hotline auf die Möglichkeit zur Mitwirkung bei der neuseeländischen Krebshilfe hingewiesen.

Danach geht es weiter nach Wanaka. Der Campingplatz Lake Wanaka Lakeview liegt zentrumsnah und ist wieder sehr gut ausgestattet. Die Kleinstadt ist eine sehr ruhige, wenngleich doch auch touristische und recht geschäftige Kleinstadt. Der See und die dahinterliegenden Berge geben auch diesem Ort ein malerisches Ambiente. Es fängt wieder zu regnen an, trotzdem mache ich am Abend noch einen Spaziergang durch den Ort, kaufe mir drei Rindersteaks und brate sie mir in der Pfanne in der Küche des Zeltplatzes. Nebenher noch die Flasche Wein leer gemacht und dann beim Sonnenuntergang zufrieden ins Bett gefallen.

Am nächsten Morgen wache ich schon um 6.00 Uhr auf. Es zwar aufgehört zu regnen, aber die Wolken hängen noch sehr tief über dem See. Nach dem Frühstück breche ich zu meinem letzten Campingplatz am Lake Tekapo auf. Es geht über den Lindis Pass nach Omarama und Twizzle, wo ich gerade noch so mit Leerlauf und nahezu leerem Tank an der Tankstelle am Ortseingang einrolle.

Von hier geht es weiter zum Lake Ohau Alpine Village. Dort, am Nordende des Sees, wo sich die Skistation befindet, wurde wieder einige Szenen für Herr der Ringe gedreht. Als ich vom Highway abfahre fängt es wie auf Bestellung an zu regnen. Die Wolken hängen tief über dem See. Das perfekte Ambiente für meine heutige „Herr der Ringe Expedition“. Ich fahre am Ufer entlang und glaube einige der Schauplätze wieder zu erkennen. Ich will unbedingt zum Nordrand des Sees, wo die Gletscher eine riesige Ebene geschliffen haben. Die ersten fünf Kilometer sind mit meinem Fahrzeug kein Problem. Dann kommt Schotterpiste, auch noch o.k., denke ich mir. Doch als ich an die erste Furt an einem kleinen Bach komme, streiche ich die Segel. Clemens hätte hier wahrscheinlich gar nicht mal angehalten. Aber da habe ich zu wenig Querfeldein-erfahrung. Hier hinten ist außerdem niemand, der mir helfen könnte. Bislang lief mit dem Campervan alles gut, nicht einmal die Schotterpisten haben größere Probleme bereitet. Aber ich will mein Glück nicht überstrapazieren und verzichte auf ein weiteres Furtabenteuer. Der Regen ist in der Zwischenzeit etwas weniger geworden und einzelne Sonnenstrahlen erkämpfen sich erfolgreich ihren Weg durch die Wolkendecke als ich mich vorbei an schroffen und kahlen Felswänden, kleinen scheinbar vegetationslosen Inseln und entlang an türkisblauen Flüssen und Wäldern mit allseits bemoosten Bäumen wieder auf den Weg zurück zum Highway mache. Als die Piste in den immer mal wieder plötzlich auftauchenden Nebelfeldern verschwinden zu scheint zucke ich einige Male bei auftauchenden Schatten kurz zusammen und schließe mein Seitenfenster. Als die Lücken in der Wolkendecke größer werden, und die Sonne die Oberhand gewinnt, mache ich einen kurzen Picknickstopp an der DOC-Campsite am See. Auf der anderen Seite des Sees wirken die Berge, an denen immer noch dunkelgraue Wolken nur wenige Meter über dem Wasser wie Raumschiffe aus einer anderen Welt hängen, geheimnisvoll und gespenstisch. Ich verputze mein letztes Steak von gestern Abend, nutze noch die Biotoilette und mache mich dann wieder bei leichtem Nieselregen auf den Weg zurück zur Skistation. 500 m nach der Kreuzung hört der Regen wieder auf und die Sonne vertreibt die Wolken endgültig.

Mein zweiter Stopp ist der Look-Out am Lake Puakai. Dort erhoffe ich mir einen Blick auf Neuseelands höchsten Berg, den Mount Cook zu erhaschen. Aber nur der unterste Stumpf ist nicht in Wolken gehüllt. Den Rest muss ich mir heute gedanklich ergänzen. Ich fahre weiter zum Lake Tekapo Motels & Holidaypark am gleichnamigen See. Der See, der auf ungefähr 700m liegt, ist, wie alle anderen bisher gesehenen auch, ein Gletschersee. Sein Wasser ist ebenso wie das des Lake Puakai milchig blau. Die Bäche aus den Southern Alps füllen den See das ganze Jahr über mit Mineralien angereicherten Gletscherwasser, das durch die Sonneneinstrahlung grünlich-blau wirkt. Nachdem ich eingechecked habe setze ich mich an einen Tisch am Grillplatz. Über die dem See gegenüberliegenden Berge kriechen einige Wolken von der Ostküste herauf bis auf den Bergkamm. Die meisten lösen sich kurz nachdem sie es geschafft haben schnell wieder auf, aber einige schaffen es darüber und fallen ein stückweit nach unten und wirken mit ihrer Form und Farbe wie eine Gletscherzunge auf der davorliegenden Ebene. Die Leeseiten der Berge sind kahl und bilden mit den davorliegenden Schwemmkegeln, die nur sporadisch bewaldet sind und meist nur von niedrigen Sträuchern als Standorte gesucht werden, eine wie prädestinierte Landschaft für umherziehende Trolle, Hobbits, Elben und Orks. Am frühen Abend besuche ich noch die Kirche zum guten Hirten. Es ist ein kleines aus Steinen errichtetes Gotteshaus, das ohne großen Schnickschnack auskommt. Neben der Kirche steht eine Statue mit einem Schäferhund, ohne den die Ausbereitung der Schafzucht in der Region nicht möglich gewesen wäre.

Am nächsten Morgen checke ich früh aus, die letzte Fahrt mit dem Campervan nach Christchurch steht an. Lake Tekapo und der dazugehörige Campingplatz bekommen von mir neun von zehn Punkten: Tolle Lage mit Blick auf den See, Badestrand, Berge zum Wandern, sehr freundliches Personal, toller Grill- und Essplatz und eine toll ausgestattete Küche und das Ganze für 18 NZD plus zwei NZD für die Dusche, ein perfektes Preis-/Leistungsverhältnis.

Die Fahrt geht über das Hochland der Southern Alps hinunter in die Küstenlandschaft auf der Ostseite der Insel. Für die knapp 220 Km brauche ich vier Stunden. Als ich in Christchurch ankomme, fahre ich zuerst zu meiner neuen Übernachtungsmöglichkeit, dem Studentenheim an der University of Canterbury und bringe mein Gepäck auf mein Zimmer. Danach mache ich mein Auto noch sauber und gebe es wieder bei Lucky Rentals ab. Keine Beanstandungen, alles wird schnell und unbürokratisch geregelt, sogar meine „Verbesserungsvorschläge“ notiert sich die Dame am Tresen. Danach nehme ich den nächsten Bus der „Purple Line“ (Mal nicht irgendeine banale Busnummer!) zur Central Station und dann weiter zurück in mein Quartier.