Ich lande gegen 21.00 Uhr in Hobart. Der Flug mit Air New Zealand und Virgin Australia von Christchurch über Melbourne dauert nur sieben Stunden. Die Insel Tasmanien, die gleichzeitig ein eigener Bundesstaat ist, befindet sich 240 km südlich vom australischen Festland. Außer der Hauptinsel gehören dazu auch noch einige, meist unbewohnte, Inselgruppen. Die größten Städte sind die Hauptstadt Hobart und Launceston. Als größte Insel Australiens hat es sowohl eine ca. 300 km Nord-Süd wie auch Ost-West Ausdehnung und ist damit etwa so groß wie Irland. Landschaftlich geprägt ist die Insel durch Gebirge, Hoch- und Küstenebenen. Tasmanien liegt mit ca. 42° Südlicher Breite ungefähr auf der selber Breitenlage wie Rom. Große Bereiche der Insel sind als Naturparks ausgewiesen und ähnlich wie Fjordland auf der Südinsel Neuseelands schwer zugänglich.
Die europäisch geprägte Geschichte Tasmaniens ist für Australische Verhältnisse relativ lang. Vor über 200 Jahren wurde die Insel von Europäern besiedelt. Als die Europäer kamen, lebten dort bereits seit Jahrtausenden Ureinwohner. Den Aborigines wurden nach dem Eintreffen der ersten Siedler und Walfänger alles genommen, was sie besaßen: Ihre Würde, ihr Land und am Ende auch ihr Leben. Raub, Vergewaltigungen, Misshandlungen und Morde waren an der Tagesordnung. Durch die Europäer eingeschleppte Krankheiten taten ihr übriges dazu. Die Bevölkerung wurde binnen weniger Jahre nahezu ausgelöscht. 1830 entschloss man sich dazu die wenigen verbliebenen Ureinwohner in eine Art Reservat abzuschieben, was letztendlich auf den nahegelegenen Flinders Inseln umgesetzt wurde. Fast alle der noch verbliebenen wenigen hundert Ureinwohner starben dort innerhalb der nächsten zwanzig Jahre, sodass das Reservat 1849 wieder aufgelöst wurde. Der letzte Aborigine verstarb zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Nachdem ich meinen Hyundai I 20 bei (Sieben Tage für 192 Euro) Europcar am Flughafenterminal abgeholt habe, fahre ich in mein Quartier, in das Waterfront Lodge Motel im Westen Hobarts. Als ich um 22.30 Uhr am geschlossenen Hotel ankomme, stelle ich fest, dass mir der Besitzer weder eine Nachricht, noch einen Schlüssel hinterlegt hat. Nach einer Weile finde ich aber einen Kasten, in dem ein Zimmerschlüssel liegt. Als ich das Zimmer betrete bin ich überrascht, dass das Bett nicht gemacht ist, überall lange schwarze Haare liegen und es insgesamt doch ziemlich schmuddelig ist. Ich packe meinen Schlafsack aus, um wenigstens gefühlsmäßig gut gebettet zu sein. Doch dann sehe ich auf der Innenseite der Tür ein Schild mit einer Notfallnummer und den Hinweis auf ein Notfalltelefon. Also begebe ich mich auf den Weg zurück zum Haupthaus, suche und finde das gut getarnte Telefon und rufe den Eigentümer an. Es ist bereits halb zwölf. Ich entschuldige mich für den späten Anruf, er entschuldigt sich, dass er die Mail mit dem Schlüsselhinweis wohl vergessen hat und verrät mir meine Zimmernummer. Der Schlüssel liegt unter der Matte. Zimmer und Bad sind super. Nach diesen langen Tag schlafe ich wie ein kleiner Bär.
Am nächsten Morgen mache ich mich auf den Weg nach Queenstown, einer 150 Jahre alten Minenstadt. Die Fahrt führt mich hinein in die Berge Tasmaniens und schließlich hinauf auf die Hochebenen der Insel. Die Vegetation ist sehr vielschichtig und stark von Lee-, Luv- und Höhenlage bestimmt. Moore, Gras- und Sträucherflächen, Busch- und Regenwald und wüstenhafte Bereiche wechseln sich ab. Kurz bevor ich mein Ziel erreiche, passiere ich Gormanston, eine weitere ehemalige Minenstadt mit damals 10.000 Einwohner. Heute leben dort in den wenigen verbliebenen Häusern noch ein Dutzend Menschen. Viele der Gebäude sind schon verfallen oder einfach vernagelt und warten auf ihren Verfall. Kurz danach fahre ich zu dem Lookout auf das ehemalige Bergbaugebiet mit seinen Kupferminen. Es sind noch einige Abbaukrater zu sehen, die mittlerweile mit Wasser aufgefüllt sind. Das Gebiet wurde einst von zwei konkurrierenden Minenunternehmen ausgebeutet. Da sich die beiden exzentrischen Firmeninhaber nicht auf ein gemeinsames Vorgehen beim Abbau der Bodenschätze einigen konnten, gründete jeder der beiden Ende der 1880er Jahre eine eigene Siedlung (Gormanston und Queenstown), seine eigene Eisenbahn und seinen eigenen Seehafen. Dass das wirtschaftlich nicht funktionieren konnte, erkannte man 15 Jahre später. Die Gormanstoner Mine, und somit auch die Stadt, kollabierte und Queenstown wurde das alleinige Bergbauzentrum der Insel.
Danach fahre ich hinunter in die Stadt, die heute an die 2.000 Einwohner hat. In der einstigen Pionierstadt hat sich seitdem vieles verändert. Der Bergbau spielt nur noch eine untergeordnete Rolle in der Region, die alte Mineneisenbahn fährt mittlerweile nur noch für die Touristen. Der Bahnhof und andere Gebäude wurden zu Museen umgebaut. Der Tourismus spielt mittlerweile eine wichtige Rolle. Nahe des ehemaligen Bahnhofs ist ein Platz entstanden, der der Bergbaugeschichte der Stadt gewidmet ist. Es sind noch sehr viele Gebäude aus der Gründungszeit erhalten, wie z.B. eine Kirche, ein Kino, eine Freimaurerloge, Restaurants und weitere Hotels. In einem davon, dem ehrwürdigen Empire Hotel aus den 1890er Jahren werde ich heute übernachten. Das einstig beste Haus am Platze fungiert mittlerweile auch als Pub und Restaurant. Der hölzerne, massive und pompös wirkende Treppenaufgang zu den Hotelzimmern steht unter Denkmalschutz. Hinter dem Aufgang hängt ein etwas vergilbtes Bild der Queen. Hier scheint die Zeit vor 120 Jahren stehen geblieben zu sein. Die Zimmer aber sind modern, das Essen ausgezeichnet, die angebotenen Biere und der Service des Personals ebenso.
Am nächsten Morgen fahre ich weiter hinunter ans Meer nach Strachan, wo einst die Mineneisenbahn endete und das Kupfer verschifft wurde. Der Ort ist allerdings nicht besonders einladend. Kalten Wind und raue See hatte ich in den Catlins schon zur Genüge. Ich mache mich auf den Weg über kerzengerade Straßen mitten durch Buschwald hindurch zu den Henty Dunes. Die Dünen sind an die 30 Meter hoch und erstrecken sich über mehrere hundert Meter und würden, wenn der kalte Wind, das eiskalte Wasser und der gerade leicht einsetzende Regen nicht wären, sogar zum Baden einladen.
Ich fahre weiter an die Nordwestküste Tasmaniens, nach Stanley. Das Erkennungszeichen der Stadt ist die Nuss (The Nut), ein durch Verwitterung freigelegter erstarrter Magmafelsen. Ich nehme nicht den Sessellift und erreiche das Plateau nach einem 15-minütigen, nicht unanstrengenden, Austieg. Von dort oben hat man einen herrlichen Blick auf die von Quarzsand gesäumten Strände. Der ca. 150m hohe Felsen steht ganz einsam am Meer und wirkt aus weiterer Entfernung tatsächlich wie eine Nusshälfte, die aus dem Wasser ragt. Nach einer heißen Schokolade in einem der vielen netten kleinen Cafés, wo ich trotz der Vorbereitungen auf eine private Geburtstagsfeier noch bedient werde, fahre ich weiter nach Burnie, wo ich auch übernachte. Bei Sonnenuntergang nehme ich an einer Führung des Vereins „Freunde der Burnie Pinguine“ teil. Diese illustre Gruppe von Vogelliebhabern veranstaltet zwischen Oktober und März unentgeltlich allabendlich Führungen zu den Nistplätzen der Pinguine. Ihr Lebensbereich ist durch einen Maschendrahtzaun abgetrennt, und befindet sich ungefähr 30 – 50 Meter vom Strand entfernt. Die Führung beginnt und endet am Pinguin Beobachtungszentrum östlich der North Terrace und des Bass Highways. An die 20 Pinguinliebhaber haben sich eingefunden. Wir wurden gebeten dunkle Kleidung zu tragen, eine Infrarotfolie vor unsere Taschenlampen zu spannen und keine Blitzlichtaufnahmen zu machen. Im Gegensatz zu meinem ersten Pinguinspot in den Catlins kamen die „Little Penguins“ zu Dutzenden an den Strand zu ihren Behausungen gewatschelt. Nachdem die Sonne untergegangen ist, wird es schnell eiseskalt. Der einsetzende Regen kann den Pinguinen vielleicht nichts anhaben, aber mich und die anderen Besucher macht er alle. Nach einer Stunde ist die Gruppe auf eine Handvoll Vogelenthusiasten zusammengeschmolzen und auch ich gebe kurz danach auf und gehe zurück in meine Unterkunft, um mich am Ofen wieder ein wenig aufzuwärmen. Am nächsten Morgen besuche ich noch einen nahegelegenen Park, an dem das scheue Schnabeltier ab und an zu sehen sein soll. Aber nach einer Stunde des Umherschleichens streiche ich auch hier die Segel und mache mich auf den Weg zum Cradle Mountain.
Der Berg liegt im Westen der Insel in einem Nationalpark und erreicht eine Höhe von 1.545 m. Ich laufe vom Parkplatz am Dove Lake vorbei. Hier beginnt der Overland Track, ein bekannter Fernwanderweg. Der Wanderweg schlängelt sich durch eine Reihe unterschiedlicher Landschaften bis zu seinem Ende nach 80 km am Lake St. Clair, Australiens tiefstem See. Im unteren Bereich des Trecks, der sich relativ leicht erlaufen lässt, treffe ich wieder auf die Herrschaften aus Fernost. Der teilweise schneebedeckte Cradle Mountain liegt unter nahezu wolkenfreien Himmel. Trotzdem verursachen die auf den Selfiesticks bajonierten Smartphones ein wahres Blitzlichtgewitter. Sehr professionell, muss ich später zugeben, als ich meinen Selfie anschaue, der aufgrund des hellen Schnees im Hintergrund zwar den Berg optimal ablichtet, aber mein Gesicht nahezu schwarz erscheinen lässt. Je weiter ich hinaufsteige, desto weniger treffe ich auf andere Wanderer, geschweige denn auf die semiprofessionellen Industriefotographen aus dem Reich der Mitte. Als ich das Hochplateau erreiche sehe ich nur noch den zerknitterten, aber schroff und wie einen indianischen Kopfschmuck wirkenden, vom Schnee bedeckten Gipfel vor mir. Als ich mich auf den Anstieg mache schlägt plötzlich das Wetter um und der oberste Bereich des Berges verschwindet im dichten Wolkenfeld. Ich entschließe mich die Gipfelbesteigung abzubrechen und laufe auf der anderen Seite des Plateaus wieder hinunter zum Shuttleparkplatz.
Danach fahre ich nach Deloraine, wo ich wieder in einem historischen Bauwerk übernachte. In der Küche und im angeschlossenen Pub gibt es wieder ausgezeichnetes Bier und Essen.
Am nächsten Morgen geht es weiter in die zweite Hauptstadt Tasmaniens, nach Launceston (74.000 EW). Die Gebäude in der Innenstadt stammen aus viktorianischer Zeit und es gibt eine gemütliche Fußgängerzone mit viele kleinen Gaststätten, Cafés und coolen Läden. Am zentralen Park treffe ich auf zwei Kirchen, die eine noch als Gotteshaus und die andere als Atelier privat genutzt. Am Hafen finde ich einige ausgezeichnete Fischrestaurants und eine der ältesten Brauereien Australiens, die Boag Brewery.
Am Abend übernachte ich in einem Airbnb Quartier in Legerwood, im ehemaligen Haus des Schulmeisters des Ortes. Von dort fahre ich über das Holy Cow Cafe, in dem es leckeren Käse und andere Spezialitäten zu probieren und zu kaufen gibt, zu den Wasserfällen von St. Columba. Ganz ordentlich, aber die Verkostung hatte es mir mehr angetan. Danach fahre ich weiter zu der Bay of Fires, wo ich den restlichen Nachmittag noch am Strand verbringe. Die Bucht befindet sich im Nordosten der Insel und bekam ihren Namen von einem Kapitän eines vorbeifahrenden Schiffes, der die Feuer der Ureinwohner an den Stränden beobachtete und ihr deshalb diesen Namen gab. Die weißen Sandstrände, das blaue Wasser und die mit einer Flechte bewachsenen und daher orange schimmernden Granitblöcke, die den Strand auf mehreren hundert Meter säumen, geben der Region einen unverwechselbaren Charakter. Die Nacht verbringe ich in Bicheno mit seinem schönen kleinen Hafen und starte von dort am nächsten Morgen zum Freycinet Nationalpark. Dort sehe ich mein erstes – lebendiges – Känguru (Oder vielleicht doch Wallaby?) am Parkplatz des Parkeingangs. Ich laufe hinauf zum Aussichtspunkt auf die Wineglass Bay und anschließend auch bei strahlenden Sonnenschein hinunter zum weißen Sandstrand. Nachdem ich kurz meinen Zeh in das Wasser gesteckt habe, verwerfe ich meine fixe Idee wieder in dem herrlich blau leuchtenden Wasser zu baden. Nicht so eine indische Familie, die gleich nach mir ankommt. Die Mutter und die beiden Jungs fühlen sich wohl ob ihrer optischen Eindrücke in den heißen Süden Indiens erinnert und werfen sich sofort in ihre Badeklamotten und laufen hinunter zum Meer. Der ältere Sohn rennt in der Manier eines Sprinters in das Wasser, stoppt nach einigen Metern abrupt ab, springt laut schreiend in die Höhe und macht sofort wieder kehrt und hüpft wie ein Geißbock zurück an den Strand. Die anderen beiden bewegen sich daraufhin im Zeitlupentempo auf das Wasser zu, halten ihren Fuß kurz hinein und ziehen dann mit einem Grinsen, aber doch auch ein wenig enttäuscht, wieder von dannen und begnügen sich mit einem kurzen Sonnenbad an geschützter Stelle am Strand.
Am frühen Abend fahre ich wieder zurück nach Hobart, wo ich zwei Tage im Hobart Hostel wohnen werde. Hobart, die Hauptstadt Tasmaniens, hat ca. 218.000 EW und liegt an der Mündung des Derwent Rivers am Fuße des Mt. Wellington im Süden der Insel. Sie ist mit ihrem internationalen Flughafen, Hafen, ihren Universitäten, dem Sitz der Administration auch die „wichtigste“ Stadt Tasmaniens. Nach Sydney ist sie die zweitälteste Stadt Australiens. Die Stadtgeschichte begann 1803, als dort Soldaten, aber auch einige freie Bürger, mit 300 Gefangenen eine Sträflingskolonie gründeten. Neben dem Tourismus und dem Seehafen spielen kleinere Industriebetriebe im Schiffsbau, in der Holzverarbeitung und der Verhüttung eine wirtschaftliche Rolle. Darüber hinaus haben auch die Brauereien und der Weinanbau, zumindest für Australien, eine gewisse Bedeutung. Der Hafen wird außerdem als Ausgangspunkt für Antarktisexpeditionen genutzt.
Am zweiten Tag besuche ich das MONA Museum. Mona steht für Museum of Old and New Art und befindet sich seit seiner Gründung 2011 auf einer Halbinsel mitten in einem Weinanbaugebiet nahe Hobart. Das Museum ist privat finanziert und zeigt antike, moderne und zeitgenössische Kunst aus der Sammlung von David Walsh. Das Museum ist zu einem großen Teil unterirdisch angelegt, es hat keine Fenster und wirkt für den Besucher einerseits düster und andererseits macht es auch neugierig, was sich hinter den endlos aufeinanderfolgenden Treppen, Räumen und Ebenen als nächstes offenbart. Um die Exponate zu sehen, muss ich mich vom Untergeschoss, das entweder über eine Treppe oder einen Aufzug zugänglich ist, einem vorgegebenen Verlauf folgend, wieder an die Erdoberfläche vorarbeiten (Gegenentwurf zum Spiralgang des Guggenheim Museums). Das Museum kann sowohl mit der Fähre als auch mit dem Pkw erreicht werden. Insgesamt beherbergt es 400 Kunstwerke aus der privaten Sammlung Walshs. Im Keller erhalte ich ein Smartphone, mit dem ich mir die einzelnen Kunstwerke selbst erarbeiten muss/darf. Sobald ich einen Raum betrete, wird mir auf dem Display das nächstgelegene Objekt mit einer Kurzüberschrift angezeigt. Durch das Anklicken des Bildes erhalte ich dann Informationen zum Kunstwerk, zum Beispiel in Form eines Interviews mit dem Künstler, Kunsthistorikern, Professoren oder anderen Besuchern oder auch nur ein Informationsblatt mit den entsprechenden Details. Meine angeklickten Besuche kann ich speichern und mittels meiner hinterlassenen Emailadresse an mich weiterleiten und zuhause nachbereiten. Alle von mir nicht angesehenen Kunstgegenstände werden als solche gekennzeichnet und können, wenn ich mich auf der MONA-Homepage anmelde, von mir im Nachhinein „besucht“ werden. Ich bin von dem Gebäude, der Auswahl der Kunstobjekte und deren Präsentation tief beeindruckt und verbringe an die vier Stunden in diesem für mich wirklich einzigartigen Gesamtkunstwerk. A MUST-SEE!