Am Tag vor meinem Abflug bekomme ich eine Mail von Jetstar, dass der Flug elf Stunden später, sprich erst am nächsten Morgen geht. Ich verlängere meinen Aufenthalt also spontan um eine Nacht „Chez Charlie“. Abflug am nächsten Morgen klappt. Weil ich ja „Kilometersammler“ bin, werde ich noch in die Quantas Lounge eingeladen. Nobel, Nobel! Essen und Trinken in ausgezeichneter Qualität und im Überfluss vorhanden und das zum Nulltarif. Auch ein Erlebnis der besonderen Art.

Ich wohne drei Nächte in Richmond, einem Stadtteil im Osten Melbournes. Das Richmond Hill Hotel hat seine besten Tage aber schon lange gesehen. Die Zimmer sind klein, aber sauber. In der schönen Lounge mit zwei Holzfeuerstellen, einigen antiquarischen Sofas und Sesseln, lässt es sich schön chillen. Dort wird außerdem das Frühstücksbuffet, das im Preis inbegriffen ist, serviert. Mein erster Ausflug führt mich nach Downtown, an den Yarra River, nach Chinatown und auf den Queen Victoria Market. Der Innenstadtbereich Melbournes ist eine freie Straßenbahnzone, die unentgeltlich benutz werden kann. Da das Straßennetz neuzeitlich planerisch rechteckig und im Schachbrettmuster angelegt ist, lässt sich dieser Bereich organisatorisch schön abgrenzen. Allerdings muss man dazu eine Myki-Karte besitzen, ohne die der öffentliche Nahverkehr Melbournes aber ohnehin nicht benutzt werden kann. Das Prinzip ist, wie immer in Australien das gleiche: Tap-on; Tap-off. Das Zentrum strotzt nur so von kolonialen Baudenkmälern, allerdings an vielen Stellen auch von moderner Architektur ergänzt. Außerhalb dieses Bereichs schließen sich Wolkenkratzer und Parkanlagen an. Der Federation Square, direkt am Yarra River, ist durch seine moderne Architektur ein sehr auffälliger – und bestimmt nicht jedermanns Geschmack – Mittelpunkt der Stadt. Melbournes Chinatown ist er unauffällig, aber doch eine spürbare, riechbare und optisch wahrnehmbare Verdichtung von chinesischer bzw. asiatischer Lebens- und Esskultur.

Der mehrere Fußballfelder große und aus riesigen Stahlpavilions bestehende Queen Victoria Market am nordwestlichen Rand der Innenstadt erinnert mich ein wenig an Camden Market in London. Es gibt wohl nichts, was es nicht gibt: Von Kleidern, Souvenirs aller Art, Obst, Gemüse, Fisch, Fleisch, bietet er auch Restaurants, Cafés, Fastfood Stalls, Schönheitsstudios, Massagesalons, Friseure, Weinstuben und einen eigenen Bereich für alternative und grüne Produkte. Einzig die Londoner Schallplatten- und Band-Devotionalienstände vermisse ich ein wenig. Aber um den Platz herum spielen an jeder Ecke, wie an ganz vielen anderen Plätzen in der Stadt auch, Straßenmusiker jeglicher Couleur. Auf dem Weg zurück stoße ich auf allerlei Graffiti in den Nebenstraßen. Sehr sympathisch diese Aussies!

Ich mache mit der Tram einen Ausflug zum South Melbourne Beach, wo gerade die Spirit of Tasmania, das Fährschiff nach Hobart, vor Anker liegt und laufe von dort an der Strandpromenade entlang nach St. Kilda. Der Strand in St. Kilda ist schön, aber noch verkneife ich es mir in den kalten Fluten zu baden. Den Nachmittag verbringe ich in der Acland Street, in der sich die Cafés, Pubs, Bars, Restaurants, Fastfood-Stalls, Confiserien und coole Einkaufsläden wie an der Perlenschnur gezogen aneinanderreihen. Am Abend gehe ich noch in das Viertel Fitzroy um die Brunswick und Gertrude Street mit seinen coolen und teilweise recht schicken Rooftopbars. Leider macht sich mittlerweile ein signifikantes Unwohlsein im Bereich des Dickdarms bemerkbar. Ich hatte am Abend vor meinem Abflug aus Phuket noch einmal Garnelen gegessen, aber schon dabei fiel mir auf, dass das Pulen so richtig leicht von der Hand ging. Ich hatte während des Fluges und den Tag danach ein flaues Gefühl in der Bauchgegend, aber jetzt wird es dann doch etwas heftiger. Die Toilettengänge werden häufiger und müssen bei meinen Unternehmungen wohl geplant werden. Sonst geht das Ganze irgendwann im wahrsten Sinne des Wortes nach hinten los.

Am nächsten Morgen hole ich mein Auto ab und beginne meine Reise entlang der Great Ocean Road. Erstes Ziel ist der Bimi Zeltplatz am Cape Otway. Mein Bauch wird auch nicht wirklich besser. Neben mir im Auto liegen zwei Packungen Salzstangen und eine Eineinhalbliterflasche Coca-Cola. Das soll mal keiner denken ich hätte nicht vorgeplant. Der Campingplatz ist ganz ok. Die Toiletten zum Glück gleich bei meinem POD, einer kleinen aus Holz und in „auf dem Kopf gestellter U-Form“ gebauten Behausung, die sogar eine kleine Veranda hat. Ansonsten gibt es hier nicht viel zu sehen. Ich übernachte aber trotzdem zweimal und liege einen Großteil der Zeit in meinem Bett, um den maladen Bauch auszukurieren. Einerseits ein leichtes Unterfangen, weil es auch toujours regnet, andererseits ist es nachts so richtig kalt, dass ich mit mehreren Lagen Klamotten schlafen muss.

Am zweiten Abend hat sich alles ein wenig entspannt und ich mache einen Ausflug an den nahegelegenen Apollo Beach und esse das erste Mal seit drei Tagen wieder richtig lecker. Beim Chinesen gibt es Nudeln mit Gemüse.

Am nächsten Morgen breche ich früh auf. Ich will die „Twelve Apostels“ vor den Touristenhorden erreichen. Die „Zwölf Apostel“ sind an die 60m hohe, im Meer stehende Kalkfelsen. Zählt man nach, stellt man fest, dass es wohl eher acht sind, aber auch das ist ein wenig abhängig davon, was groß genug und als eigenständig zu bezeichnen ist. Die Felssäulen entstanden im Laufe der Jahrtausende durch die Erosion des Meeres. Sie schiebt dabei die Küstenlinie pro Jahr um ungefähr zwei Zentimeter weiter zurück. Härtere Gesteinsblöcke bildeten anfangs Halbinseln mit natürlichen Brücken zum Festland, bis sie dann später völlig alleine im Meer zurückblieben. Der Abbruch des London Arch im Jahr 1990 ist das jüngste Beispiel für diese fortschreitende Erosion an den Felsen. In geologischen Zeiträumen betrachtet, wird es diese Wunder der Natur wohl nur für einen sehr kurzen Zeitraum geben. In nicht allzu langer Zeit werden auch sie spurlos im Meer verschwunden sein.

Gegen 10.00 Uhr erreiche ich die Felsen. Es hat sich tatsächlich gelohnt, nur eine Handvoll Menschen begegnet mir auf dem Weg zwischen den kahlen Sandsteinfelsen entlang der Küste, was aber wohl nicht nur an meinem frühen Aufstehen liegt. Immer wieder peitscht der stürmische Südwind die Küste entlang, gepaart mit heftigen Niederschlägen. Aber für ein paar Minuten scheint dazwischen auch immer mal wieder die Sonne, was diesen Abschnitt meines Roadtrips zu einem teilweise anstrengenden, aber auch unvergesslichen Erlebnis macht. Neben den acht Felstürmen besuche ich noch den schon erwähnten London Arch, der wie eine zurückgelassene Brücke im Ozean wirkt, den Rasorback, eine schmale, wie eine Rasierklinge aussehende Felswand, the Grotto, eine offene Höhle, die vom Meer ebenfalls durch Erosion geschaffen wurde und die sehr romantisch gelegene Loch Ard Gorge, die sich ebenfalls an diesem Küstenabschnitt befinden. Nach einigen weiteren Lookouts entlang der Küste und einigen Kaffeestopps in gemütlichen Küstenstädtchen erreiche ich am dritten Tag Warrnambool, wo ich drei Nächte bleibe, um dann wieder nach Melbourne zurück zu fahren und mit dem Flugzeug weiter nach Adelaide zu fliegen.

Warrnambool ist eine um 1840 von Wal- und Robbenfängern gegründete Kleinstadt im Bundesstaat Victoria. Es ist ein kulturell und touristisch recht aktives Städtchen am Ende der Great Ocean Road. Ich besuche das Tower Hill Wildlife Reserve und fahre im dort mit dem Auto in die Vulkan Caldera und begegne bei meiner Wanderung entlang der Kraterseen erstmals freilebenden Straußen, vor denen ich gehörigen Respekt habe und in gebührenden Abstand meines Weges gehe. Der Park ist in Besitz der Aborigines dieser Region. Im Visitor Center mit einem Ausstellungs- und Verkaufsraum stellen sie auch das Personal.

Am späten Nachmittag gehe ich im „Life save guard Café“ noch einen Kaffee trinken und Kuchen essen. Tags darauf besuche in einen Kunstmarkt und die „Point Robbies Aboriginal Site“. Dieser malerische Strandabschnitt östlich des Stadtzentrums war schon sehr früh von den Ureinwohnern Australiens besiedelt worden und ist heute ein beliebter Badestrand.

Ein Kurzausflug führt mich in die kleine Pionierstadt Port Fairy, in der es einen schönen kleinen Hafen und noch Überreste der ehemaligen Bastion zu sehen gibt. Danach geht es 22 Kilometer in südwestlicher Richtung weiter zu dem Küstenabschnitt „ The Crags“. Die dortigen Sandsteinklippen und –Felsen im Meer sind der Grund für die Namensgebung des ganzen Küstenabschnittes: Die Schiffswrackküste! Auch mir bläst ein menschenverachtender Wind entgegen, während Monsterwellen mit Urgewallt an die Küste donnern. Das Schöne wiederum ist der Blick auf die Vulkaninsel Lady Julia Percy. Sie liegt sechs Kilometer vor der Küste und ist nur 1,33 qkm groß und im Durchschnitt 30 Meter hoch. Sie war für die hier lebenden Aborigines eine Art Toteninsel, auf die die Geister ihrer Toten hinüberschwebten. Heute ist das Besondere an Australiens einziger Offshore-Vulkaninsel, dass sie die größte Seelöwenkolonie (27.000 Stück) Australiens und eine „Little Penguin Colony“ mit ca. 2.000 Exemplaren beherbergt. Es gibt keinen öffentlichen Zugang auf die Insel, wenngleich Bootstouren von Port Fairy aus durchaus einen Blick auf die Tiere zulassen. Das Meer um die Insel ist übrigens nicht zum Schwimmen geeignet. Es ist vielmehr das Zuhause des großen weißen Hais!

Die Rückfahrt nach Melbourne dauert vier Stunden. Ich stoppe 70 km östlich von Warrnambool in Camperdown und hole mein Frühstück mit einem Schinken-Käse- Croissant und Milchkaffee im „The Loaf and Lounge Café“ nach. Das Städtchen hat architektonisch einiges zu bieten. Insbesondere entlang der Hauptstraße reihen sich Gebäude aus viktorianischer Zeit aneinander. Danach fahre ich gleich in mein neues Airbnb Quartier in den Norden Melbournes nach Travancore. Im Stadtteil Flemmington, in der Wellington Street esse ich beim Vietnamesen zu Abend. Gleich um die Ecke zur S-Bahnstation liegt der Laksa King. Allererste kulinarische Sahne, dazu unschlagbares Preis-Leistungsverhältnis. Aber auch sonst bietet dieses in Australien einmalige Multikulti-Viertel beste Restaurationen von afrikanisch, arabisch, malayisch bis japanisch, chinesisch, italienisch etc. und die dazugehörigen Läden zur Deckung des täglichen Bedarfs dieser bunten Nachbarschaft.

Tags darauf fahre ich mit dem Zug zum Southern Cross und dann mit dem Skybus zum Flughafen. Um 16.25 Uhr lande ich pünktlich in Adelaide. Hier ist es viel wärmer als in Melbourne, angenehm wärmer. Mit dem Bus fahre ich dann weiter in meine neue Unterkunft am Mansfield Park.

Gleich am Morgen danach unternehme ich einen Ausflug mit dem Bus in eine kleine Gemeinde in den Adelaide Hills. Hahndorf war die erste Ortschaft, die geplant für nicht Britische Staatsbürger gegründet worden ist und ist die älteste deutsche Siedlung in Australien. Die Kleinstadt wurde 1839 von Lutheranern erbaut, die aufgrund religiöser Verfolgung aus Preußen ausgewanderten sind. Da aber niemand aus den 54 Bauernfamilien Erfahrungen mit Kaufverträgen, Geschäftsverhandlungen und größeren Geldgeschäften hatte, bot ihnen der Kapitän eines der drei Schiffes, die die Siedler an die Südküste Australien brachten, ein gewisser Dirk Hahn, seine Hilfe an und führte für sie die Verhandlungen. Aus Dankbarkeit benannten sie ihr Dorf nach ihm. Von dem ehemaligen Hufendorf ist heute nur noch eine Straße mit ihren Originalgebäuden erhalten, die aber kaum noch eine traditionelle Nutzung erfahren. Nur das eine oder andere Hotel oder Gasthaus (z.B. The Arms) wird noch ursprünglich genutzt. Viele Häuschen sind aber sehr schön renoviert und für den Besucher mit ausreichend Information zum Haus, Erbauer und Nutzung touristisch aufgewertet. In der Ortschaft gibt es immer noch zwei evangelischen Kirchen mit sehr aktiver Gemeindearbeit. Unter den letzten zehn Pastoren, die dort ihren Dienst verrichteten, sind auch einige deutsche Namen zu finden. Eine vor hundert Jahren angelegte Laubbaumallee spendet Schatten entlang den vielen Touristenshops, Cafés und Restaurants. In einigen Gaststätten gibt es Schweinbraten, Bratwürste, Apfelstrudel, natürlich nach deutscher Braukunst hergestelltes Bier und im Ort sogar jährlich ein Oktoberfest. Aus den Lautsprecherboxen der Verkaufsräume rauscht deutsche Volk- und Schlagermusik. Nicht nur deshalb wird hier und da gelästert, dass das Dorf mittlerweile schon eine Karikatur seiner selbst ist. Ich kann diese Einschätzung nicht teilen und finde das Dorf sehr nett, weil laid back, ruhig, interessant und schlüssig. Wenn man sich ein wenig Zeit nimmt, gibt es viel zu entdecken: Hinterhöfe wie sie es noch in den 50er Jahren auch in Franken gab, Fachwerkbauweise, Wohnzimmer mit offenen Kaminen, eine deutsche Metzgerei mit deutschen Wurstwaren, einige Weingüter in der Nachbarschaft, ebenso wie eine Craft Beer Brewery und das Lobethal Bierhaus. Mein kulinarischer Tipp ist allerdings der Udder Delights Cellar mit ausgezeichneter regionaler Käsetheke und nach deutschem Reinheitsgebot gebrautem Weißbier!

In Adelaide fahre ich noch an den Hafen, steige auf den dortigen 170 Jahre alten Leuchtturm hinauf und bestaune auch hier die angehende Transformation der ehemaligen Hafengebäude in luxuriöse Wohnanlagen. Danach geht es noch an den Glenelg Strand, wo einstmals die ersten Siedler an Land gingen und lege mich dort noch ein paar Stunden in die Sonne und gönne mir ein Bundaberg Ginger Beer, um mir den Abschied von Australien ein wenig zu versüßen. Morgen geht es mit Qantas nach Santiago de Chile.