Ich fahre mit dem Bus nach Punta Arenas und übernachte wieder bei meiner Airbnb-Familie. Dort ankommen ist mittlerweile wie heimkommen. Ich werde zum Abendessen eingeladen, das Frühstück steht morgens bereits auf den Tisch, nachmittags gibt es Kaffee und Kuchen. Wir verbringen Stunden an unseren mobilen Kommunikationsgeräten und bringen den Google-Übersetzter Spanisch – Deutsch und Deutsch – Spanisch zum Glühen. An den Abenden gehe ich noch einmal im Market Municipal und im chiloé`schen Restaurant um die Ecke Fisch essen.
Zwei Tage später fahre ich mit dem Taxi morgens zum Flughafen und fliege mit Latam zurück nach Santiago. Dort erreiche ich mein Quartier in der Nähe des Flughafens gerade noch so vor Einbruch der Dunkelheit. Zur Begrüßung gibt es Empanadas und eine Flasche Cola. Alles gut.
Am nächsten Morgen steht schon der nächste Flug mit KLM nach Buenos Aires an. Auch das läuft reibungslos. Bei meiner Flughysterie gar nicht so selbstverständlich. Der Flieger ist voll mit Chile Fans. Heute Abend steht das WM-Qualifikationsspiel in Buenos Aires gegen Argentinien an. Mein neuer Host schickt eine Freundin, die mich vom Flughafen abholt und in mein neues Quartier im Stadtteil Cabalito bringt. In der Stadt herrscht Ausnahmezustand. Die Straßen sind vollgepackt mit chilenischen und argentinischen Fans. Abends macht sich eine Darmverstimmung bemerkbar. Entweder die Salamipizza von nebenan oder einer der beiden Fische in Punta Arenas war nicht mehr ganz frisch.
Ich fahre mit der U-Bahn in die Stadt. Diese Megastädte haben zwar durchaus Atmosphäre, aber mir ist das heute dann doch zu arg: Zu laut, zu viele Menschen, chaotischer Straßenverkehr, die Wolkenkratzer erschlagen mich förmlich. Die Sehenswürdigkeiten sind dann auch bald abgehakt. Mir ist das alles eine Nummer zu groß. Die acht Tage in der Natur haben ihre Spuren hinterlassen.
Erst am zweiten Tag, als ich auch die Nachbarschaft erkunde und einige gemütliche Bars, Läden und Restaurants finde, komme ich etwas zur Ruhe. Auf einem Plakat an einer Hauswand wird zum Tangoabend geladen.
Heute ist Nationalfeiertag: In Gedenken an den Militärputsch aus dem Jahr 1976 ist die halbe Stadt auf den Beinen. Überall Trommler, ganze Musikkapellen, Paraden und Züge auf den Straßen. Hier und dort Gesänge, allerorten ist die Polizei präsent. Die Regierungsgebäude sind mit mobilen Barrikaden gesichert. In einer Shopping-Mall kaufe ich mein Ticket nach Montevideo. Am Nachmittag besuche ich den Friedhof La Recoleta. Am gegenüberliegenden Park sehe ich auf einer Wiese eine Band spielen. Ich setze mich an einen Baum und lausche mit hunderten Anderer der Musik. Nach einer Weile schlafe ich ein. Zwei Stunden später spielt die Band immer noch. Als es bereits Dunkel wird gehe ich nach Hause, ziehe mich auf den Balkon zurück und spiele mit den beiden Hunden meines Vermieters.
Da ich nichts zum Frühstücken eingekauft habe gehe am Morgen in das Kaffeehaus an der Ecke. Vor der verglasten Front stehen einige Tische und Stühle im Freien. Mir ist es noch zu frisch. Ein freundlicher, schon ein wenig in die Jahre gekommener Herr weist mir einen Tisch zu. Neben mir frühstücken zwei ältere Damen, gegenüber sitzt ein Mann im Sonntagsanzug und trinkt einen Espresso. Auch der Herr hinterm Tresen ist schon etwas grau meliert. Im Hintergrund läuft dezent südamerikanische Musik. Ich bestelle einen Cappuccino und ein belegtes Croissant.
Am Nachmittag besuche ich die Restobar in der Parallelstraße. Mittags gibt es hier einige Gerichte zu vernünftigen Preisen, nachmittags treffen sich die Bewohner des Viertels auf einen Kaffee und abends bietet die Bar den jungen und älteren, hippen und bodenständigen Gästen feine Weine, Cocktails, Longdrinks, gängige und ausgefallenere Spirituosen an. Als ich den hellen, mit Holzstühlen und -tischen ausgestatteten Raum betrete bin ich der einzige Gast. Ich setze mich an einen Tisch in der Ecke, die Bar und den Eingangsbereich fest im Blick. Ich werde wieder von einem Ober älteren Semesters bedient. Ich bestelle mir ein Milanese (Ein sehr dünnes Schweine-, Kalb-, oder Hähncheschnitzel, das in unendlichen Varianten mit den abenteuerlichsten Beilagen serviert wird). Heute keine Experimente: Es bleibt bei Pommes und dazu ein halbe Flasche Malbec. Die Einrichtung ist schlicht, aber der Service sehr aufmerksam. Eine halbe Stunde später hat sich das Etablissement merklich gefüllt. Die Gäste sitzen sichtlich zufrieden an ihrem Essen oder trinken nur ein Glas Wein, manche einen Pisco Sour. Ich packe meinen Laptop aus und nutze das freie Wifi. Eine Stunde später mache ich mich auf den Weg zurück in meine Unterkunft. Der Ober und der Barkeeper verabschieden mich mit einem breiten Grinsen.
Am nächsten Morgen geht es mit der Fähre von Colonia Express nach Colonia del Sacramento und dann weiter nach Montevideo. Kurz nach acht Uhr nehme ich die erste U-Bahn, es ist Sonntag. Immer wieder gehen – meist junge – Menschen in den Wagons auf und ab und versuchen ihre Kaugummis, Erdnüsse, Getränke oder sonstiges nützes und unnützes Zeugs zu verkaufen. An der Endstation Alem fahre ich mit dem Bus C33 entlang der Hafenpromenade bis zur Brücke der Stadtautobahn, von dort sind es noch zehn Minuten zu laufen. Um 10.00 geht es pünktlich los; hinein in die bräunlich-lehmige Brühe des Rio de la Plata. So bezeichnet man das an die 200 km breite Mündungsdelta der beiden Flüsse Paraná und Uruguay, das hier auf den Atlantischen Ozean trifft. Das Schiff ist groß, das Wasser relativ ruhig und so wird die Überfahrt fast schon zu einem Vergnügen.
Die Kleinstadt Colonia del Sacramento ist die älteste Stadt Uruguays. Sie wurde 1680 als südlichste portugiesische Hafenstadt gegründet. Als erstes wurden auf dem Festland eine Kirche und ein Fort errichtet. 1718 lebten dort 1400 Einwohner einschließlich Sklaven und Indianer. Später förderte man weiter Kultur und Handel und im Januar 1730 wurde das erste Theater auf uruguayischen Boden erbaut. Im Monat Dezember 1995 wurde die Altstadt durch die UNESCO zum Weltkulturerbe erhoben.

Uruguay ist das kleinste spanischsprachige Land in Südamerika – und in etwa halb so groß wie Deutschland. Im Norden grenzt es an Brasilien, im Osten an den Atlantischen Ozean, im Südwesten an den Río de la Plata und im Westen wird es durch den Río Uruguay von Argentinien getrennt. Montevideo, die Hauptstadt, ist mit knapp 1,5 Millionen Einwohnern die einzige Großstadt und auch wichtigste Hafenstadt des Landes, in der fast die Hälfte der Gesamtbevölkerung lebt. Ethnisch setzt sich die Bevölkerung des Landes aus Nachkommen europäischer Einwanderer (88 Prozent), Mestizen und Nachkommen afrikanischer Sklaven zusammen. Die europäischen Einwanderer kamen aus Spanien und zu einem großen Teil auch aus Italien und darüber hinaus auch aus deutschsprachigen Ländern. Die indianischen Ureinwohner (Charruás, Guanaes, Yaros und Chanaes) sind seit Mitte des 18. Jahrhunderts – wie auch in Chile, Argentinien und Paraguay innerhalb weniger Jahrzehnte ausgerottet worden. Ein großer Teil der Bevölkerung wird sozioökonomisch der Mittelklasse zugeordnet. Das Land ist christlich – katholisch – geprägt, aber nur etwa die Hälfte der Bevölkerung übt die Religion noch aktiv aus. So bleiben die Kirchen des Landes am Sonntag in der Regel so leer wie jene in Deutschland, auch das ist in Südamerika eher die Ausnahme. Ab 1935 bot Uruguay vielen deutschsprachigen Juden Zuflucht. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen – wie in Chile und Argentinien auch – Deutsche mit Nazivergangenheit in das Land. Heute leben hier etwa 10.000 Deutsche; davon rund die Hälfte Doppelstaatler, hinzu kommen etwa 40.000 Deutschstämmige. Damit stellen sie eine der stärkeren Einwanderergruppen, wenn auch in weitem Abstand zu Spaniern und Italienern. Im Landesinneren gibt es kleinere deutschsprachige mennonitische Schulen, in Montevideo eine Waldorfschule und etliche deutsche Klubs.
Seit 2013 ist in dem Land der Handel mit Cannabis – unter bestimmen Voraussetzungen – legalisiert. Uruguay ist in Südamerika eines der Länder mit der niedrigsten Kriminalitätsrate.
In den Schulen gibt es die Laptop XO-1 Initiative, die jedem Kind im Land das Arbeiten an einem eigenen – Kind gerechten – Computer in den Schulen garantieren soll.
Das Nationalgericht ist, wie in Argentinien auch, das Asado. Darunter versteht man alle Sorten von (Vor allem Rind-, aber auch Schweine- und Hähnchen-) Fleisch, die über einem offenen Holzfeuer gegrillt werden. Daneben werden aber auch Innereien wie Nieren, Rinderdarm und Leber auf der Parrilla (dem Grill) zubereitet. Ein typisch uruguayisches Fasdfood-Gericht ist der Chivito, ein Burger mit einer dünnen Scheibe Rinderlende. Sehr zu schätzen gelernt habe ich in Argentinien und Uruguay auch den süßen Nachtisch Dulce de Leche, eine leckere Creme aus Milch, Karamell, Vanille und viel Zucker. Bei einer landestypischen kulinarischen Empfehlung darf auf keinem Fall der Mate-Tee fehlen, der in den beiden Ländern in bauchigen Trinkgefäßen aller Formen und Couleur aufgebrüht und meist mit einem speziellen metallenen Trinkhalm getrunken wird.
Die Busfahrt nach Montevideo geht durch eine Landschaft, die mich stark an das norddeutsche Tiefland erinnert. Eine flache bis wellige Oberfläche, viele Wälder, großflächige Weidewirtschaft (Kühe, Schafe und gelegentlich auch Pferde) und Äcker (Mais und Sorgut) mit den entsprechenden Farmen. Die Straße ist in einem sehr guten Zustand, die Dörfer wirken sauber und aufgeräumt. Als wir den Außenbereich Montevideos erreiche, durchfahren wir zuerst ein Industriegebiet, dann einige hundert Meter mit einfachsten Behausungen, wie sie in den Dritte Welt Staaten in Afrika zu sehen sind. Danach folgen gemischte Wohn- und Industriegebiete, dann beginnt der eigentliche Stadtbereich.
Ich verbringe meine zwei Nächte in einem Airbnb Quartier in der Altstadt Montevideos. Das Gebäude ist schon 120 Jahre alt und hat ähnlich den Gründerzeithäusern in meiner fränkischen Heimat drei Meter hohe Decken, Holzböden, einfach verglaste Fenster, geflieste Böden und Wände im Eingangsbereich.
Ein gusseisener Aufzug mit aufschiebbarer Tür bringt mich hinauf in den zweiten Stock. Der Innenhof, den ich von meinem Fenster aus sehen kann ist klein, dunkel und nicht sehr einladend.
Die Stadt ist von zwei Seiten vom Meer umgeben. Die Häuser sind in der Regel aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Der Zustand vieler Gebäude ist etwas bedenklich, einige aber sind in einem guten und teilweise auch in einem top-restaurierten Zustand. Die Straßen sind meist eng, viele noch gepflastert. Hier und da gibt es kleinere Plätze mit gemütlichen Restaurants und Cafés, kleine Einzelhandelsgeschäfte und gefühlt an jeder Ecke eine Galerie, ein Museum oder eine andere Sehenswürdigkeit.
Die Altstadt beginnt gleich am Plaza Independencia. Ein steinerner Torbogen weißt den Weg. Um den Platz sind viele Häuser aufwendig renoviert. In einem Café läuft laute Musik. Auf der Straße tanzt ein Pärchen dazu einen Tango. Am Hafen liegt der renovierte Mercado del Puerto. Die Fischmarkthalle mit ihren Fr -Essständen (Vor allem Asado-Restaurants) ist ein kulinarischer Augenschmaus. Das Graf-Spee Denkmal befindet sich im Garten des Admiralitätsgebäudes, gleich hinter der Fischhalle. Meine Vermieterin empfiehlt mir noch das lokale Restaurant Santa Catalina in der Ciudadela Straße, nahe des Strandes, das von Frühstück über Mittagessen bis zum leckeren Nachmittagskaffeegedeck alles zu bieten hat und eine nette Alternative zu den teilweise recht schicken Gaststätten und teuren Gaststätten in der Altstadt ist.
Das Leben im morbiden Ambiente der Altstadt ist entschleunigt, auffällig leise und beschaulich. Seine Einwohner sind ausgesprochen freundlich und hilfsbereit: Wenn ich nach dem Weg frage, begleitet man mich meist direkt zum gesuchten Ort. Viele Menschen sind der englischen Sprache mächtig, ganz anders als in Chile und Argentinien.
Die Rückreise mit der Fähre von Colonia Express ist ebenso angenehm wie die Hinreise es war. Das Personal ist sehr freundlich, hilfsbereit und aufmerksam. Trotz der etwas versteckten Ablegestelle: Gerne wieder. Ich fahre mit dem Bus Nr. 20 zurück zur U-Bahnstation und dann weiter zu meinem Quartier. Ich vermeide es in der Regel abends alleine unterwegs zu sein. Aber es sind viele Leute auf der Straße und in der U-Bahn, meine Bedenken bleiben unbegründet. Vier Stationen vor meinem Ziel steigt ein junger Mann mit großem Handgepäck in den Wagon. Binnen weniger Sekunden baut er sein portables Klavier auf, positioniert sich vor einer der Türen und unterhält die Fahrgäste mit feinster klassischer Musik.
Noch einmal verbringe ich eine Nacht bei den beiden netten Hunden und starte dann am nächsten morgen um acht Uhr zum gemütlichen Airport Jorge Newbery. Er liegt direkt am Ufer des Rio de la Plata und wird überwiegend als Inlandsflughafen genutzt, wenngleich auch einige Ziele in den Nachbarländern angeflogen werden.
Das Spiel zwischen Argentinien und Chile endete übrigens 1:0.