Die Wasserfälle von Iguazú standen eigentlich gar nicht auf meiner Liste, aber nachdem sie mir von nahezu allen Leuten, die ich getroffen hatte, ans Herz gelegt wurden, mache ich mich nun auf den Weg in den äußersten Nordosten Argentiniens. Der Flug mit Latam (100€) dauert nur gut zwei Stunden. Mit dem Minibus fahre ich vom Flughafen für 120 ARP (ca. 7€) zu meinem Airbnb-Quartier am Stadtrand.
Mein Host empfiehlt mir für das Abendessen das Charo Restaurant. Das Menue Turistica für 175 ARP ist genau nach meinem Geschmack. Auf meinem Tisch steht ein kleiner Grill, voll mit Rind-, Schweine- und Lammfleisch und zwei Bratwürsten. Dazu gibt es eine Maß Bier und eine zu vernachlässigende Portion Pommes Frites und Salat. Zum Nachtisch gönne ich mir Flan de Dulce de Leche. Nachdem ich in den letzten sechs Monaten drei Kilo an Gewicht verloren habe, vermute ich aufgrund meiner doch sehr üppigen Abendessen, dass ich hier wieder ein wenig zurückgeschlagen habe.
Am nächsten Morgen nehme ich vom zentralen Busbahnhof einen Linienbus für 80 ARP zur brasilianischen Seite der Wasserfälle. Der Bus hält an einer kleinen, abgelegenen Grenzstation. Da wir nur zu zehnt sind, geht das Aus- und Einreiseprozedere sehr fix. Der Eintritt in den Nationalpark kostet 54 Brasilianische Real (ca. 15€). Ein Shuttle-Bus bringt uns vom Informationszentrum hinüber zum Beginn des Wanderweges.
Gleich an der Ausstiegsstelle habe ich einen atemberaubenden Blick auf eine ganze Reihe von Wasserfällen, an denen das Wasser über zwei oder drei Stufen nach unten stürzt. Insgesamt sind es an die 270! Fälle. Ein Spektakel der Extraklasse.
Über eine Holz- und Metallkonstruktion geht es weiter über einige kleinere Plattformen zum finalen Lookout am Teufelsrachen (Devil`s Throat oder Garganta del Diablo). Überall am Weg hängen Hinweisschilder zum Umgang mit den eigentlich so nett aussehenden Nasenbären.
Nur an dieser Stelle kommt man auf der brasilianischen Seite relativ nah an einen Wasserfall heran. Ein Steg führt weit hinaus auf die Wasserfläche eines Beckens, das durch einen kleineren Wasserfall mit einer Fallhöhe von 20m gespeist wird. Von der Klippe aus, wo es weitere 40m senkrecht nach unten geht, blicke ich direkt in den Schlund des Teufels, dem spektakulärsten Wasserfall von Iguazú. Bei einer Fallhöhe von 75m kracht das Wasser mit einen gewaltigen Donnern und Getöse herunter. Mittlerweile steht die Sonne im Zenit und ein riesiger Regenbogen thront über der Wasseroberfläche. Obwohl der Fluss zu dieser Jahreszeit den niedrigsten Pegel hat, strömen immer noch sehr beeindruckende Wassermassen die Fälle herunter: Überall donnert, schäumt und spritzt es. Über eine halbe Stunde verfolge ich staunend, und immer wieder, den Weg des Wassers vom Übertritt der Kante nach unten bis zum tosenden Aufprall. Nach drei Stunden macht sich ein nicht zu unterschätzendes Hungergefühl bemerkbar und ich verlasse den Park und somit auch wieder Brasilien und begebe mich direkt in das Restaurant meines Vertrauens.
Am nächsten Morgen stehe ich sehr früh auf, um mit dem ersten Bus um 7.20 Uhr in den argentinischen Teil des Nationalparks zu fahren. Die Eingangstore sind noch geschlossen, ich bin einer der ersten an der Kasse. Als der Park geöffnet wird, erfahre ich, dass wieder alle Wege frei zugänglich sind. Besucher hatten auf einem der unteren Wege einen Puma gesehen, worauf jener Bereich geschlossen wurde und nur der obere Weg zum Devil`s Throat, der zum großen Teil mit einer Schmalspureisenbahn erreicht werden kann, geöffnet blieb. Vom Miniaturbahnhof geht es über einen ein Kilometer langen Steg über den Iguazú Fluss hinüber bis zu der Stelle, wo das bis dahin friedlich, langsam und leise dahinfließende Wasser plötzlich zu einem tosenden, lärmenden und Angst einflößenden Ungeheuer wird. Der Lärm, mit dem die Wasser nach unten stürzt ist auch hier oben ohrenbetäubend. Beim Übertritt in den freien Fall kommt es zu einer Teilzerstäubung des Wassers, das dann vom Wind auf die Aussichtsplattform herüber geweht wird und mich und die anderen staunenden Besucher binnen Sekunden bis auf die Haut durchnässt. Auch das Objektiv meiner Kamera ist tropfnass. Trotz des ständig niederprasselnden Wassers und des Getöses kann ich mich erst nach zwanzig Minuten, als ich vollständig nass und durchgefroren bin, von diesem Naturschauspiel der besonderen Art trennen.
Ich nehme wieder die „Kindereisenbahn“ und fahre zurück zur Mittelstation und mache mich von dort auf den Weg zu einigen weiteren – kleineren und größeren – Wasserfällen. Ein vollbesetztes Schlauchboot fährt an einem der unteren Fälle direkt in die herabstürzenden Wassermassen und kommt Sekunden später mit den kreischenden, jubelnden und bis auf die Haut durchnässten „Abenteurern“ wieder zurück ins Blickfeld der amüsierten Beobachter. Nach fünf Stunden umherwandern, beobachten, staunen und wundern mache ich mich schließlich wieder auf den Weg zurück in meine Unterkunft. Ein letztes Mal wird mir heute der Grill auf den Tisch gestellt.
Am nächsten Morgen fahre ich mit dem Minibus zum Flughafen. Mein Ziel heute ist das über 1500Km entfernte Salta im Nordwesten des Landes. Der Flug mit Aerolinas Argentinas ( 230€) dauert wieder knapp zwei Stunden.
Salta ist eine beschauliche Kleinstadt mit einem historischen Stadtkern und relativ vielen gut erhaltenen Kolonialbauten, kleinen Parks und Plätzen und einer guten touristischen Infrastruktur.
Auf dem Plaza des Armas sehe ich das erste Mal seit Jahren wieder professionelle Schuhputzer, die mit ihrer mobilen Ausrüstung auf dem Platz und in den angrenzenden Restaurants und Cafés nach eingestaubten oder matten Schuhen Ausschau halten. Der Platz ist quadratisch angelegt, es gibt es viele Bänke, Bäume und in der Mitte ein Denkmal mit einem Brunnen und auch freies Wifi. Auf dem umlaufenden Gehweg bieten Händler und Kunsthandwerker wieder Hals- und Armkettchen mit Anhängern aus Silber, Gold, Edelsteinen und Holz und geflochtene und gewebte Armbändchen in jeglichen Farben, Formen und Materialien an. Immer wieder sprechen mich Kinder, Jugendliche und Erwachsene an, die mir ihr selbstgebasteltes, gekauftes, nützes oder völlig unnützes Produkt verkaufen möchten. Am Platz, an der Kathedrale und in den umliegenden Straßen verrichten auffällig viele Polizisten ihren Dienst.
Am Abend esse ich ein Steak in der Bodega Estancia Mendoza in der Ruta Castro und trinke dazu eine Flasche Hauswein. Sehr angenehmer Service und sehr lecker!
Der Tourismus ist mittlerweile die wichtigste Einnahmequelle für die Einwohner der Stadt. Im Zentrum befinden sich unzählige Reisebüros, Andenkenläden, Gaststätten, Cafés, Bars und Restaurants. Darüber hinaus gibt es einige interessante Museen, viele Hotels, Hostels und einige Privatunterkünfte. Von den unzähligen Reisebüros, deren Personal teilweise recht aktiv auf der Straße wirbt, werden Direktverbindungen in alle großen Städte Argentiniens angeboten, darunter auch Fahrten mit bis zu 24 Stunden nach Iguazú, Mendoza oder Buenos Aires und natürlich auch Tagesausflüge zu den Sehenswürdigkeiten der Region nach Cafayate, in die Quebrada de Humahuaca, zu den Salinas Grandes oder zum Tren de las Nubes.
Da der öffentliche Nahverkehr sehr dürftig ausgebaut ist, buche ich einen geführten Tagesausflug nach Cafayate und in die Quebrada de Humahuaca. Der Bus holt mich um sieben Uhr am Hotel ab. Wir fahren die Ruta 68 Richtung Süden, vorbei an La Vina, der einzigen größeren Siedlung in dem Tal und an der ehemaligen südlichen Endstation der Eisenbahn, Alemanya, dessen Namen der Erzählung nach von einem in der Gegend ansäßigen Indianerstamm oder von den vor allem aus Deutschland stammenden Gleisarbeitern stammen könnte. In der Ortschaft wurde früher das Kupfer aus einer nahen Mine verladen und nach Salta gebracht. Nachdem die Mine geschlossen wurde, verfiel die Siedlung binnen Monaten zu einer Geisterstadt. Heute wohnen hier wieder eine Handvoll Familien.
Der Weg hinauf zum Pass führt durch eine marsähnliche Landschaft, die gespickt ist mit von Wasser und Wind verwitterten und erodierten Fels-, Sand und Tonformationen und -gebilden. Mit „der Schlund des Teufels“, „das Wrack der Titanic, „das Amphitheater“ oder auch banaleren wie „die Nadel“, „der Frosch“, „die Mönche“, „die Altäre“ oder „der Fuchs“ sind die teilweise spektakulären Naturerscheinungen auch sehr treffend beschrieben.
Nach dem Erreichen des Passes, wo das Tal nur noch wenige Meter breit ist, geht es hinunter zum heutigen Ziel unserer Reise, nach Cafayate, der heimlichen Hauptstadt des Calchaqueíes Valleys, ca. 200Km südlich von Salta gelegen. Geprägt ist die Stadt vor allem vom Weinanbau (Zweitwichtigstes argentinisches Weinanbaugebiet nach Mendoza) und vom – Tages – Tourismus. Nach einem Stopp an einem der vielen Handycraftshops, wo wir mit einem Glas des hiesigen süßen Weines begrüßt werden, geht es weiter zu einer Führung mit Verköstigung im Weingut Quara. Während die meisten Güter schon Ende des 19. Jahrhunderts gegründet wurden, gibt es die Finca erst seit ca. 30 Jahren. Sie ist mit der neuesten Technik ausgestattet und produziert vor allem Standardweine für den argentinischen Markt und einige hochpreisige für den Export. Ich probiere einen Malbec und einen Torrentes, von denen ich mir jeweils eine Flasche für die nächsten „einsamen Abende“ mit nach Hause nehme. Die Preise für die „normalen“ Weine liegen im Werkverkauf bei 45 ARP pro Flasche und sind somit günstiger als die meisten Weine im Supermarkt.
Am nächsten Abend geht es um 20.30 Uhr mit dem Unternehmen Flecha Bus weiter nach Mendoza. Nach fast 20 Stunden erreiche ich müde und erschlagen das Zentrum des argentinischen Weinanbaus. Die Stadt liegt auf 707m in der Trockensteppe am Fuße der Anden. Bei einem Jahresniederschlag von 220mm werden die landwirtschaftlichen Flächen mit Wasser über Kanalsysteme – ähnlich den orientalischen Khanaten – aus dem Gebirge bewässert. Die Stadt selbst hat touristisch außer den hunderten von Weingütern meines Erachtens nicht sonderlich viel zu bieten. Wirtschaftlich ist der Weinbau neben der Ölindustrie (Förderung und Verarbeitung) die wichtigste Einnahmequelle und auch der wichtigste Arbeitgeber der Region.
Hier treffe ich auch V. wieder, mit der ich den Torres Circuit gegangen bin. Kurzentschlossen buchen wir auch hier eine Weintour mit Verköstigung. Unter anderem besuchen wir das Weingut der Familie Cecchin, wo ausschließlich ökologische Weine hergestellt werden. Unser zweiter Stopp ist auf der Finca Laur, auf der seit mehr als 100 Jahren Oliven angebaut und zu Olivenöl und Balsamico (unter anderem ein in Holzfässern 10 Jahre gereifter Edelessig) weiterverarbeitet werden. Leicht angetrunken und mit diversen Leckereien vollgestopft machen wir uns schließlich am späten Nachmittag wieder auf den Weg zurück nach Mendoza. Am Abend genießen wir noch einmal den hiesigen Wein im Café Beirut bei reichlich Fleisch und wenig Beilagen. Mein Bauchumfang nimmt unübersehbar zu; hier und da zwickt es gehörig.
Am nächsten Morgen geht es um 8.30 Uhr mit dem Bus entlang des Puente del Inca die Anden hinauf bis zur Grenzstation auf der Passhöhe. Die Zollformalitäten sind schnell erledigt, nur die aufwendige Kontrolle des Reisegepäckes durch die chilenischen Zöllner und die Lebensmittelbehörde nimmt einige Zeit in Anspruch. Mit Spürhunden, Gepäckscannern und persönlichen Taschenkontrollen machen sie ihre Arbeit sehr gründlich und zuletzt auch erfolgreich. In einem Karton in der Abfertigungshalle liegen neben allerlei Obst und Gemüse auch diverse Wurstwaren, belegte Brote und Sandwiches.
Da können sich einige Südseeinseln was von abschneiden! Danach geht es über schwindelerregende Serpentinen auf der Westseite wieder hinunter nach Santiago de Chile. Dies ist eine jener Busfahrten, die ich mit wesentlich mehr Spaß, Freude und Staunen hinter mich bringe als mit Ärger und Anstrengung, mehr eine Exkursion als eine Beförderung von A nach B.