Um 6.00 Uhr komme ich mit dem Bus nach acht Stunden Fahrt – wieder einmal kaum geschlafen – in Arequipa an. Um 7.00 Uhr bin ich in meiner Airbnb-Unterkunft und lege mich erst noch einmal zwei Stunden ins Bett. Danach laufe ich noch in die Innenstadt zum Plaza des Armas. 500m Richtung Norden liegt das schöne Kloster Santa Catalina. Auf dem Platz selbst gibt es viele Bänke unter schattenspendenden Bäumen. Als ich dir eintreffe sind sie alle belegt, auch auf der Treppe vor der Kirche, die mittlerweile im Schatten liegt, sitzen die Menschen und genießen plaudernd die lauen Temperaturen oder sind mit ihren Kommunikationsapparaten beschäftigt. Die eine Seite des Platzes wird vollständig von der Kathedrale der Stadt eingenommen, an den anderen Seiten befinden sich zweistöckige Häuser mit Arkadengängen, in denen sich meist Restaurants, Cafés und Andenkenläden befinden. Hinter einigen Häuser befinden sich kleine Hinterhöfe, wo „Biergärten“ zum Verweilen einladen. Auch ich kann mich der angenehmen Atmosphäre nicht entziehen und setze mich an einen der Tische, trinke eine Tasse Kaffee und gönne mir ein Stückchen Kuchen dazu.
Auf dem Rückweg gehe ich noch in die städtische Markthalle, deren riesige Stahlkonstruktion von Gustav Eiffels konstruiert wurde. Am Abend esse ich in einer Picanteria, einem traditionellen Gasthaus, mein zweites Meerschweinchen, diesmal nach Art des Hauses; frittiert. Nebenher läuft peruanische Volksmusik, einige Hartgesottene schwingen sogar das Tanzbein. Ich bin der einzige Gringo im Haus. Ansonsten tummeln sich hier nur Einheimische und peruanische Touristen.
Am nächsten Morgen nehme ich wieder an einer „Free Walking Tour“ teil. Sie startet zwei Mal am Tag, um zehn Uhr und um drei Uhr in der Calle Santa Catalina 210. Die Tour – die ja eine weltumspannende Einrichtung – zumindest in den Großstädten – ist, wird wie immer von Studenten geführt. Auch hier ist sie sehr informativ und wird durch die vielen Anekdoten und die Nähkästchenplauderei äußerst kurzweilig. Zum Abschluss gibt es noch einen Pisco Sour und jeder Teilnehmer entrichtet dann doch das irgendwie obligatorische „Trinkgeld“. Nachmittags gehe ich in der Gasse, direkt hinter der Kathedrale in das Restaurant Mixtos, eines von Dreien mit Dachterrassen, zum Mittagessen. Von der Obersten habe ich einen schönen Blick auf die Vulkane Chachani (6057m) und Misti (6057m hoch und immer noch aktiv), die unweit der Stadt liegen.
Arequipa liegt auf einer Höhe von 2.300m und hat 844.000 Einwohner. Das Stadtzentrum ist Teil des Weltkulturerbes der UNESCO und eines der ältesten Siedlungsgebiete Perus. Nicht weit von der Stadt entfernt liegen die Schluchten des Cotahuasi- und des Colca Canyon, die mit bis zu 3000 m Höhenunterschied mit zu den tiefsten der Welt zählen. Arequipa wird auch als die „weiße Stadt“ bezeichnet, was wohl auf die helle Hautfarbe der einstmals im Stadtzentrum lebenden spanisch-stämmigen Bewohnern zurück geht – den Eingeborenen was es verboten, in der Innenstadt zu leben. Andere behaupten, dass die Farbe der Baumaterialien – die ein Nebenprodukt der umliegenden Vulkane waren, für diesen Beinamen verantwortlich ist. Die Küste des Pazifiks ist nur 75km Luftlinie entfernt. Das Gebiet gehört zu den vielen Erdbebenregionen Südamerikas. Statistisch gesehen gibt es hier täglich zwölf solcher Erdbewegungen. Alleine seit Ankunft der Europäer wurde die Stadt sieben Mal durch ein schweres Erdbeben verwüstet, das letzte Mal 2001 bei einer Magnitude von 8,4.
Am nächsten Morgen starte ich um 7.00 Uhr zu einer zweitägigen Tour in den Colca Canyon. Der Veranstalter ist Colonial Tours (Eintages-Tour 60 S, Zweitages-Tour 70 S, Zweitages-Tour mit anschließender Busfahrt weiter nach Puno 170 S, inklusive Unterkunft und Verpflegung).
Das Colca-Tal ist eine Schlucht ca. 100km nördlich von Arequipa. Es ist, je nachdem wie man misst, 3.269m bzw. 1.200m tief (Grand Canyon ca. 1.800m). Der Name geht wohl zurück auf die Gefäße (Colcas), die zur Aufbewahrung von Getreide verwendet wurden und in den dortigen Höhlen zu hunderten verwendet wurden. An den oberen Hängen des Canyons wurden vielfach landwirtschaftlich genutzte Terrassen angelegt, die ja auch den Anden ihren Namen gaben. Am ersten Tag fahren wir durch die Pampa, haben verschiede Stopps an Vulkanen, Salinen und kleinen Ortschaften. Am späten Nachmittag machen wir in Yanque, das sich tief unten im Canyon befindet, eine Wanderung durch die Terrassenlandschaft und besuchen dort am Abend die heißen Quellen. Am nächsten Morgen starten wir mit dem Condor Cross, einen Aussichtspunkt, von dem aus man Dutzende von Kondoren beobachten kann, wie sie getragen von der Thermik Meter für Meter nach oben gehoben werden, um dann irgendwann als kleine schwarze Punkte am Himmel zu verschwinden. Über einige weitere sehenswerte Aussichtspunkte und Dorfbesichtigungen geht es schließlich zurück nach Patahuasi, wo schon der Bus nach Puno auf mich wartet.
Um 19.00 Uhr erreiche ich das Busterminal der Stadt am Titicaca-See. Mit dem Taxi fahre ich anschließend in meine neue Unterkunft im Stadtzentrum, in das Olimp Hotel. Auch wenn ich mich mittlerweile schon ein wenig an die großen Städte Südamerikas gewöhnt habe, vermeide ich es immer noch nach Einbruch der Dunkelheit zu Fuß unterwegs zu sein und nehme mir auch hier ein Taxi. Das Hostel ist preisgünstig, mein Einzelzimmer richtig gemütlich und das Frühstück grandios.
Ich erkunde das Zentrum von Puno, das nicht wirklich viel zu bieten hat. Aber das hat auch seine guten Seiten. Die Atmosphäre in der Stadt ist entspannt, die Leute sind es ebenfalls. Nirgendwo sonst in Südamerika habe ich so viele „Rikschas“ und „Tuk-Tuks“, noch dazu in bizarren Farben und Formen, gesehen wie hier. In der Fußgängerzone sind einige Reisebüros, gemütliche Cafés und Restaurants. Am Abend laufe ich zum Hafen und bekomme einen ersten Blick auf den Titicaca-See. Direkt an der Hafenstraße befinden sich an die 20 Restaurants, wie an der Perlenschnur aufgereiht. Ich esse gebratene Forelle mit gekochten Kartoffeln und Reis. Die Forellen werden in Aqua-Kulturen im See gezüchtet. Schmeckt wieder äußerst lecker und preiswert ist es dazu. Im Hostel zurück, buche ich für morgen noch eine Zwei-Tagestour zu drei Inseln auf dem See.
Um 8.00 Uhr werden wir abgeholt, mit dem Minibus geht es zum Hafen und dann mit dem Boot zur ersten Insel. Uros, das fünf Kilometer von Puno entfernt liegt, gab es schon als die Spanier den Titicaca-See erreichten. Sie ist weniger eine einzelne Insel, als vielmehr ein Gruppe von schwimmenden Plattformen in unterschiedlichen Größen; einige davon miteinander verbunden und nur durch eine Wasserstraße getrennt. Quasi ein schwimmendes Venedig am Canale Grande. Die Unterkonstruktion besteht aus Torfballen, darauf liegt in mehreren gegengelagerten Schichten Totora- Schilf, das hier im See wächst und aus dem auch die Häuser und Boote hergestellt werden. Jede – Groß – Familie hat eine eigene Insel. Auf einer größeren Platform befindet sich ein Fußball-Bolzplatz mit zwei Meter hohen Fangzäunen für die Jugendlichen. Gelegentlich wird er aber auch für andere Aktivitäten genutzt. Als wir dort ankamen fand ein Frauen-Volleyballspiel statt.
Insgesamt leben auf den 49 Inseln 2000 Menschen. Ihr Einkommen beziehen die Bewohner heute nahezu ausschließlich aus dem Tourismus. Fast im Minutentakt legen Ausflugsboote aus Puno an. In einer kurzen Demonstration erläutern die Bewohner die Bauweise ihrer schwimmenden Inseln, um gleich danach den Verkauf von Selbstgestrickten, Selbstgewebten und anderen Andenken zu beginnen. Daneben werden kleine Bootstouren mit den für den Titicaca-See typischen Schilfbooten angeboten.
Nach einer Stunde auf den Floating Islands geht es weiter nach Amantani, einer „richtigen“ Insel. Außer uns kommen noch zwei weitere Boote mit Touristen an. In einem Dorf verbringen wir – jeweils in Gruppen von zwei bis vier Leuten – eine Nacht bei einer Familie und werden mit Mittagessen, Abendessen und Frühstück versorgt. Alles fleischlos; für meinen strapazierten Darm mal eine willkommene Abwechslung. Am Marktplatz trinke ich mein erstes Inca Cola. Der Geschmack ist gelinde gesagt gewöhnungsbedürftig, ebenso die Farbe: Quitschgelb. Pappsüß wie das amerikanische Pendant ist es aber alle mal.
Am frühen Abend wandern wir hinauf zum Sonnentempel des Pachatata (Vater Erde) und genießen dort den Sonnenuntergang. Am Abend steht eine „Tanzveranstaltung“ mit allen drei Besuchergruppen an. Männlein und Weiblein werden folkloristisch eingekleidet! Eine Band spielt südamerikanische Volkslieder, wir tanzen und trinken dazu unser Qusquena Bier.
Auf der Insel leben in acht Dörfern auf 15 qkm 3600 Menschen. Jede Woche werden 60 bis 80 Touristen eine Gemeinde weiter verschoben, so dass alle, wenn sie denn wollen, an den Touristen etwas mitverdienen können. Jede Familie bekommt für die Übernachtung und die Verpflegung einen festgelegte Vergütung. Gut vorbereitete Besucher – so zum Beispiel R aus Deutschland, mit dem ich in einem Zimmer schlafe, bringen den Familien oder den Kindern kleine Geschenke mit. Neben der Einnahme aus Unterkunft und Verpflegung verkaufen die Familien auch wieder Pullover, Decken und Ponchos der Marke Eigenproduktion. Trotz dieser wiederkehrenden Einnahmen aus dem Tourismus bestreiten die Menschen ihr Leben vor allem aus der Landwirtschaft. Da es keine Traktoren oder sonstigen technischen Hilfsmittel gibt, wird noch alles per Hand und teilweise mit Werkzeugen erledigt, die schon vor Hunderten von Jahren hier eingesetzt wurden. Die einzige Hilfe und Erleichterung bei ihrer Arbeit erfahren die Menschen durch Pferd und Esel.
Am nächsten Morgen gibt es um 7.00 Uhr Frühstück: Pfannkuchen, Marmelade und Tee. Danach verabschieden wir uns von unseren Familien und fahren mit dem Boot weiter nach Taquile. Die Überfahrt dauert eine Stunde. Als wir ankommen befindet sich die Insel fast noch im Tiefschlaf. Die ersten Gaststätten und Läden werden gerade auf den bevorstehenden Touristenansturm vorbereitet. Der Plaza des Armas ist nahezu menschenleer. Wir nehmen unser zweites Frühstück zu uns, erkunden die engen Gassen oder beobachten einfach nur das entspannte Treiben am Platze. Erst gegen 10.00 Uhr kommen die ersten Boote mit Tages-Touristen aus Puno an.
Oben vom Hauptort aus haben wir einen tollen Blick hinüber auf die Bolivianischen Anden, hinunter auf die Bootsanlegestelle und den See. 1700 Menschen leben hier auf sechs Quadratkilometern in kleinen Siedlungen und Einzelhöfen. Frauen und Männer lassen sich über bestimmte Merkmale in ihren Kleidungsstücken (Männer – Mütze und Frauen – Robe) einem Familienstand zuordnen: Single oder eben verheiratet. Eine bestimmte Farbe der Mütze deutet auf den Vorstand einer Gemeinde hin.
Im Kunsthandwerkerzentrum am Dorfplatz verkaufen Familien aus der Gemeinde unter anderem ihre selbst gestrickten Waren. Das besondere daran ist, dass sie auf Taquile von den Männern und nicht von den Frauen hergestellt werden. Eine bestimmte Familie nutzt das Haus eine Woche lang und bereitet jeden Morgen die Räume für die Ausstellung und den Verkauf ihrer selbst hergestellten Produkte vor. Danach nutzt eine andere Familie, wieder für eine Woche, die Räumlichkeiten in dem von der Gemeinde zur Verfügung gestellten Gebäude. 90% der Einnahmen gehen bleiben bei den Familien, 10% gehen an die Gemeinde.
Amantani und Taquile sind genossenschaftlich organisiert und strukturiert. Auf beiden Inseln gibt es keine Polizei, weil es defakto auch keine Verbrechen gibt. Die soziale Kontrolle und die Regeln und Bräuche, die von den Mitgliedern der Gemeinschaft ausgeübt und vorgegeben wird, funktioniert offensichtlich ohne die Menschen zu frustrieren. Ich begegne auffällig vielen jungen Menschen und Kindern. Die Bewohner der Inseln beziehen sich dabei bewusst auf die drei Gebote aus der frühen Inkazeit: Nicht stehlen, nicht lügen, nicht faul sein. Auf allen drei Inseln werden indigene Sprachen gesprochen: Auf Amantani und Taquile Quechua und auf Uros Aymara. Der Tagesablauf wird auf beiden Inseln immer noch sehr stark von der Landwirtschaft, aber zunehmend auch vom Tourismus geprägt. Motorisierte Fahrzeuge gibt es keine, nur auf Amantani haben sich einige Jugendliche vor zwei Jahren ein Moped angeschafft, mit dem sie hier und da einmal über die Pisten düsen. Die Bewohner heiraten ausschließlich Bewohner der eigenen Insel, der Nachbarinsel und der Halbinsel nördlich von Puno. So wird das Erbgut einigermaßen gesund gehalten. Heiraten mit den Einwohnern anderer Gemeinden am See oder Puno sind nicht erlaubt.
Zum Abschluss wandern wir über den Bergkamm hinunter zu einer Bootsanlegestelle auf der anderen Seite der Insel. Zum Mittagessen serviert man uns in einen malerisch gelegenen Restaurant, das wieder ein reiner Familienbetrieb ist, zur Vorspeise eine Quinoa-Suppe und als Hauptgericht gebratene Forelle mit Kartoffeln und Gemüse. Danach fahren wir mit dem Boot zurück nach Puno.